Oleksandr Prokudin, Leiter der Militärverwaltung der Region Cherson

Es ist unzweckmäßig, zehn Dörfer am rechten Ufer wiederherzustellen

Die Region Cherson lebt weiterhin unter Bedingungen, bei denen das linke Ufer besetzt bleibt und das befreite rechte Ufer unter ständigem massiven feindlichen Beschuss steht. Der Feind zerstört Siedlungen am Dnipro. Täglich wird von getöteten und verwundeten Zivilisten berichtet. In letzter Zeit greift der Feind unter anderem das rechte Ufer massiv mit gelenkten Luftbomben an, die jedoch häufig ihr Ziel verfehlen und in Siedlungen auf dem noch besetzten linken Ufer einschlagen. Die Region Cherson ist nun eine durchgehende Frontlinie.

Heute sprechen wir mit dem Leiter der Militärverwaltung der Region Cherson, Oleksandr Prokudin, darüber, wie sich der besetzte Teil der Region auf den Winter vorbereitet, wie die Bevölkerung aus den Küstensiedlungen evakuiert wird, wie die Vorbereitungen für die Arbeiten am linken Ufer nach dessen Befreiung aussehen und natürlich über die Landwirte und Minenräumung.

ZWEITE PHASE DES PROGRAMMES „SEITE AN SEITE“: WEITERE 3.200 HAUSHALTE

Wie viele Menschen bewohnen heute den befreiten Teil der Region Cherson?

Ungefähr 175.000 Menschen.

Die Behörden haben zugesichert, dass bedürftige Bevölkerungsgruppen Brennstoff erhalten würden, um den Winter zu überstehen. Dazu gehören auch Häuser ohne Zentralheizung. Wie ist der aktuelle Sachstand, was wurde unternommen? Wie wird den Betroffenen geholfen — mit Geld oder mit Brennstoff?

Es gibt 14.386 Haushalte mit individueller Heizung. Um sie alle mit Brennholz zu versorgen, haben wir ein Zusammentreffen mit Wohltätigkeitsorganisationen durchgeführt. Dazu gehören die Internationale Organisation für Migration, SaveUA, Samaritans, New Dawn, und andere. Die Wohltätigkeitsorganisationen bestätigten, dass sie Holz und Kohle für 10.000 Familien bereitstellen können. Wir suchen nach weiteren Lösungen, um die restlichen Haushalte zu versorgen. Das Defizit beträgt knapp über 21.000 Kubikmeter.

Gibt es eine realistische Perspektive, das Wohngebiet Ostriw in Cherson mit Zentralheizung zu versorgen, wo es in der letzten Heizperiode keine Heizung gab? (Am 13. Dezember 2022 teilte die Stadtverwaltung mit, dass die Wärmeversorgung im Wohngebiet Korabel in Cherson aufgrund von Beschuss unterbrochen wurde, woraufhin die Bewohner zur Evakuierung aufgefordert wurden).

Wir haben inzwischen einen Brunnen gebohrt und Wasser sichergestellt. Das Heizwerk von Ostriw mit allen Heizpumpen ist betriebsbereit. Wir haben auch alle bisherigen Unfälle durch Reparaturarbeiten beseitigt. Aber natürlich wird es noch mehr Probleme geben, denn es wurde dort ständig beschossen. Ich glaube, wir werden am Montag (23. Oktober, — Anm. d. Verf.) damit beginnen, Wasser in das System zu pumpen. Wir werden außerdem prüfen, wo es noch andere Probleme gibt, und diese Schäden beheben. Und sobald die Außentemperatur passt, werden wir die Heizung in Gang setzen. Ich denke, dass das Heizwerk bis zum 15. November wieder in Betrieb sein wird.

Im Rahmen des Projekts „Seite an Seite“ zum Wiederaufbau von Dörfern, die von den Russen in der Region Cherson zerstört worden sind, war der Wiederaufbau von 26 Siedlungen durch 15 Regionen der Ukraine geplant. Was wird jetzt wiederaufgebaut und was sind die Zukunftspläne?

Derzeit werden Wohnhäuser in 12 Gemeinden wiederaufgebaut. Bis heute sind 685 Einrichtungen repariert, 388 befinden sich in der Instandsetzung. Weitere 76 Siedlungen sind in der zweiten Phase hinzugefügt. Dazu zählen etwa 3.200 Haushalte und 92 Einrichtungen der Sozialinfrastruktur. Die Inspektionen in diesen Siedlungen haben bereits begonnen. Wir haben bereits einen Appell an das Ministerkabinett gerichtet, finanzielle Mittel für die Durchführung des Projekts „Seite an Seite“ zu gewähren. Die erste Tranche von bis zu 1 Milliarde UAH wird auf die Regionen aufgeteilt, die uns helfen. Im nächsten Schritt werden sie zu ihren Unternehmen weitergeleitet, die sich mit dem Wiederaufbau von Wohngebäuden, in der Region Cherson befassen werden.

Ist diese Milliarde für die zweite Phase des Projekts vorgesehen?

Ja, für diese 76 Siedlungen. Sowie für die Häuser, die in der ersten Phase nicht fertiggestellt worden sind.

Und wie viele Dörfer gibt es am rechten Ufer, deren Wiederaufbau keinen Sinn macht?

Jetzt handelt es sich um zehn kleine Dörfer mit bis zu zehn Familien. Diese Siedlungen sind jetzt völlig zerstört, sodass es unzweckmäßig ist, sie wiederaufzubauen ... Diese Zahl ist der aktuelle Stand. Wenn sich die Intensität des Beschusses nicht ein wenig ändert, wird es noch mehr davon geben. Die Entscheidungen sind jedoch nicht endgültig, denn wenn die Menschen in ihr Dorf zurückkehren wollen, werden wir es wiederaufbauen. Ich diskutiere mit den Leitern der Militärverwaltungen, und wir besprechen auch die aktuelle Situation beim Wiederaufbau.

Wer führt die Überprüfung in den Dörfern im Rahmen des Projekts „Seite an Seite“ durch?

Leider mangelt es in der Region Cherson derzeit an Fachkräften mit einem Abschluss in Bauwesen. Die Überprüfungen werden von Fachleuten aus anderen Regionen durchgeführt, die anschließend diese Häuser und Einrichtungen wiederherstellen.

Gibt es Kommissionen, die sich mit der Inspektion der durch die Sprengung des Wasserkraftwerks Kachowka zerstörten oder beschädigten Gebäude, insbesondere im regionalen Zentrum, befassen?

Die Prüfungshandlungen waren nicht ausgesetzt. Aufgrund des massiven Beschusses ist ihre Zahl zurückgegangen. Infolgedessen haben Experten aus anderen Regionen, die in den Kommissionen beschäftigt waren, die Region verlassen. Aber wir haben diese Kommissionen um unsere Experten aus den noch von den Russen besetzten Gemeinden ergänzt. Es handelt sich um 40 Experten. Sie sind jetzt in Cherson und anderen Gemeinden aktiv, wo es gefährlich ist (wegen des Beschusses, — Anm. d. Verf.). Es gibt Häuser, die schon beschädigt sind. Die Überprüfungen und Berichterstattungen gehen also weiter. In den Gemeinden, in denen aktive Kriegshandlungen geführt werden, werden sich die entsprechenden Zahlungen jedoch möglicherweise verzögern. Und in den relativ sicheren Kalyniwka und teilweise Darjiwka sind Entschädigungszahlungen an die Betroffenen vorgesehen.

Von wie vielen beschädigten und zerstörten Einrichtungen handelt es sich im Zusammenhang mit der Sprengung des Wasserkraftwerks Kachowka durch die Russen?

Es geht um 3.252 Gebäude, darunter 121 Wohnhäuser mit beschädigten Wohnungen in den Erdgeschossen. Wir haben bisher 2.475 dieser Einrichtungen besichtigt und 2.256 Prüfberichte verfasst. Ich denke, wir werden sie alle bis Ende des Jahres besichtigen. In den Siedlungen entlang des Dnipro-Flusses, darunter Antoniwka, Sadowe und Tjahinka, ist die Lage derzeit schwierig. Sollte sich die Sicherheitslage jedoch verbessern, werden wir die Überprüfung auch dort vornehmen.

MILITÄRVERWALTUNGEN BEREITEN SICH AUF DIE ARBEIT NACH DER BEFREIUNG VOR

Sind die Militärverwaltungen des noch besetzten linken Ufers dazu bereit, ihre Arbeit unmittelbar nach der Befreiung dieser Gebiete aufzunehmen? Insbesondere, wenn es im Winter passiert?

Sie sind bereit, ich bilde sie aus. Jede Gemeinde hat einen Plan, jeder weiß, welche Stromgeneratoren benötigt werden. Wir wissen, wo es Strom- und Gasanschlüsse gibt, wo sich kritische Standorte der Infrastruktur befinden, wo humanitäre und medizinische Einrichtungen liegen werden. Gemeinde kooperieren auch mit internationalen Partnerorganisationen.

Wir haben alles, was auf der anderen Uferseite benötigt wird, in ausreichendem Maße in unserem Lager. Die Spender kommen jetzt und decken tagsüber den Bedarf der Bewohner des besetzten Gebietes. So verbrauchen wir keinen Platz in Lagern mit Lebensmitteln oder Hygieneartikeln. Wir decken uns nur mit Dingen ein, die lange gelagert werden können.

Der regionale Verteidigungsrat hat die Listen der Siedlungen erweitert, aus denen die Kinder wegen des ständigen Beschusses wegziehen sollten. Drei weitere Dörfer sind in die Liste der 31 Siedlungen eingefügt. Wie funktioniert so eine Evakuierung? Überzeugen Sie die anderen weiterhin? Die Kinder werden jetzt in die Ferientage gefahren. Geschieht dies auch im Zusammenhang mit der Evakuierung?

Freizeitgestaltung und Gesundheitsförderung für Kinder sind ein eigener Schwerpunkt der Arbeit. Aber unter diesen Kindern sind auch diejenigen, die evakuiert werden müssen. Insgesamt sind nach der Befreiung etwa 40.000 Einwohner vom rechten Ufer evakuiert, darunter 5.300 Kinder. Seit dem 14. September, als die Evakuierung von 31 Siedlungen beschlossen war, haben 1.203 Einwohner die Siedlungen verlassen, darunter 450 Kinder.

Wir haben dem Ministerium für Reintegration einen Entwurf für die zwangsweise Evakuierung von Familien mit Kindern und Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit aus einigen Siedlungen vorgelegt, die von gelenkten Luftbomben beschossen werden. Diese Entscheidung ist mit den Militärs abgestimmt worden.

Der Bezirk Beryslaw wird weiterhin intensiv aus Luftfahrzeugen beschossen. Und in 18 Siedlungen des Bezirks leben 287 Kinder und etwa 70 Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit. Am 23. Oktober hatten wir ein Treffen mit Vizepremierministerin Iryna Wereschtschuk statt. Alle sind beunruhigt über unsere derzeitige Situation, denn die Kinder sind ständig in Lebensgefahr.

Wir haben also eine weitere Entscheidung über die zwangsweise Evakuierung aus bestimmten Siedlungen.

Humanitäre Minenräumung. Den neuesten Angaben zufolge sind in der befreiten Region Cherson ein halbes Tausend Menschen mit der Minenräumung beauftragt. Was ist geplant? Wird die Zahl der Minenräumer und der Entminungsgeräte erhöht?

Wir wollen unsere Kapazitäten für die weitere Entminung ausbauen. Deshalb wenden wir uns direkt an die Streitkräfte und den Präsidenten der Ukraine. Die Region Cherson ist übrigens die einzige Region, in der die Problemlösung auf diese Weise erfolgt. Die effektivsten Einheiten für die Minenräumung sind die Einheiten der Streitkräfte. Wir haben an den Verteidigungsminister appelliert, eine solche spezielle Einheit einzurichten. Bis zum 1. November wird ein weiteres Bataillon in die Region Cherson entsandt. Wir planen, bis zu tausend Minenräumer am rechten Ufer einzusetzen. Wir werden auch zusätzliche Entminungsgeräte erhalten. Übrigens sind auch ausländische zertifizierte Minenräumer in dieser Region engagiert.

DIE LANDWIRTE WERDEN FÜR DIE „INOFFIZIELLE“ MINENRÄUMUNG NICHT ENTSCHÄDIGT

Die Landwirte haben eine Entschädigung für die von ihnen durchgeführte Minenräumung gefordert ...

Im Entwurf des Staatshaushalts für 2024 sind 2 Milliarden UAH für die Entschädigung der von Landwirten durchgeführten Minenräumung vorgesehen, und wir warten auf seine Verabschiedung, damit die Personen eine Entschädigung erhalten können.

Aber vor kurzem habe ich mich mit Landwirten im Bezirk Beryslaw zu einem Gespräch getroffen. Die Landwirte haben nicht zertifizierte Firmen beauftragt, sodass es keine Protokolle über die durchgeführte Minenräumung gibt. Außerdem sind Felder bereits besät, die Ernte ist eingebracht, und die Winterkulturen werden bereitgestellt ...

Man kann die Menschen verstehen, denn sie müssen weiterleben und auch arbeiten. Aber ohne Protokolle ist es unmöglich, eine Entschädigung zu fordern.

Das heißt, dass in Fällen, in denen die Minenräumung „inoffiziell“ durchgeführt ist, d. h. von Personen ohne entsprechende Zertifikate, werden die für diese Minenräumung ausgegebenen Gelder also nicht zurückgezahlt?

Genau.

Infolge des Krieges haben Landwirte ihre Ausrüstung eingebüßt, die landwirtschaftlichen Unternehmen sind zerstört worden, ebenso die Dörfer. Sie haben die Gelegenheit erwähnt, dank des Fonds des amerikanischen Geschäftsmanns und Philanthropen Howard Buffett Maschinen zu mieten. Ist das Projekt erfolgreich?

Alles funktioniert wie gewünscht. Vor kurzem habe ich einen landwirtschaftlichen Betrieb in dem Dorf Tschariwne besucht. Die Menschen nutzen die von Howard Buffett gegebene Geräte. Sie ernten und sähen. Unsere Landwirte verfügen über 13 neue Mähdrescher und 16 Traktoren mit Sägeräten.

Bezahlen sie etwas für ihre Nutzung?

Vermietung ist kostenlos. Es ist kein Geschenk, sondern ein Leasingvertrag, damit die Landwirte Geld verdienen können.

Wie viele Mähdrescher werden jetzt am rechten Ufer noch benötigt?

Nicht viel Land wird von Minen befreit, es gibt also noch genügend Mähdrescher. Ich möchte feststellen, dass der Staatshaushalt eine Ausrichtung zur Unterstützung der Landwirte enthält. Für das nächste Jahr planen wir, 796 Millionen UAH aus dem Staatshaushalt für die Unterstützung der landwirtschaftlichen Unternehmen am rechten Ufer bereitzustellen.

WIR PLANEN ZAHLREICHE VERANSTALTUNGEN ZUM JAHRESTAG DER BEFREIUNG

Wie steht es mit der medizinischen Versorgung in den befreiten Gebieten?

Das Problem ist, dass die russischen Truppen die medizinische Infrastruktur und Krankenhäuser beschießen. 26 Gesundheitseinrichtungen sind zerstört, das sind 16 % der gesamten Zahl, und 104 medizinische Einrichtungen sind beschädigt, das sind 63 % der gesamten Zahl. Insgesamt haben wir 15 interdisziplinäre Institutionen und vier Bezirkskrankenhäuser in Cherson. In Siedlungen, in denen medizinische Versorgungsstrukturen zerstört sind, sind für uns mobile Ambulanzen aufgestellt worden, und zwar 17 solcher mobilen Einheiten in 15 Gemeinden. Derzeit gibt es 83 Apotheken auf der rechten Uferseite, und das Programm für günstige Arzneimittel ist in Gang. Angesichts der Zahl der Menschen auf der rechten Uferseite sind wir heute in der Lage, im medizinischen Bereich mit Medikamenten und Spezialisten zurechtzukommen. Wir verfügen über Hilfskräfte und wechseln regelmäßig Ärzte und Spezialisten aus anderen Regionen. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium werden alle Schwierigkeiten beseitigt.

Cherson war am 11. November letzten Jahres befreit. Ist eine Feier zu diesem Datum geplant?

Wir haben für diesen Tag viel vor. Wir haben Unterstützung. Fernseh- und Radiosender haben sich mit uns in Verbindung gesetzt, und wir werden über unsere Helden sprechen, über diejenigen, die unser Land befreit und die Besatzung überlebt haben. Wir drehen viele Filme darüber. Es wird verschiedene Veranstaltungen geben. Wir planen, in allen regionalen Zentren der Region Cherson Plakate aufzustellen, die besagen, dass wir frei und vereint sind.

Und noch eine Frage: Die Chersoner streiten jetzt aktiv über die Umbenennung von Straßen gemäß dem Gesetz zur Entrussifizierung. Haben Sie am Online-Voting teilgenommen? Was ist übrigens Ihre Meinung: Sind zwei Straßen, Jewropejska und Katolyzka, anstelle einer Suworowa-Straße eine gute Lösung? Wie würden Sie die Uschakow-Allee umbenennen?

Nein, ich habe nicht abgestimmt. Ich hatte keine Ahnung, dass die Suworowa-Straße bereits umbenannt worden war. Meiner Überzeugung nach sollte eine Straße oder Allee in der Stadt nach John Howard benannt werden (einem britischen Philanthropen, der in Cherson erkrankte und starb, als er den Einheimischen während der Typhusepidemie half, — Anm. d. Verf.). Sie soll gerade Howard, nicht Howardiwska benannt werden. Eine weitere Variante ist die Unbesiegbarkeitsallee.

Iryna Staroselez

Fotos sind von der regionalen Militärverwaltung zur Verfügung gestellt