Start in die Heizsaison: Reicht Gas für die Ukraine aus?

Angesichts des russischen Energieterrors spielt Erdgas eine größere Rolle in der Energiebilanz des Landes. Deswegen hat sich der Staat in erster Linie um ausreichende Vorräte des „blauen Brennstoffs“ für den Winter gekümmert.

Die Ukraine startet nach und nach in die Heizperiode. Kommunale Einrichtungen werden schon mit Wärme versorgt, jetzt sind Wohnhäuser an der Reihe. In der Hauptstadt Kyjiw begann die Heizsaison offiziell am 30. Oktober. Das bedeutet, dass der Gasverbrauch wächst. Auf die Antwort, ob die Gasvorräte für das Land ausreichen, gibt es schon eine bejahende Antwort – der Energiekonzern Naftogaz hat notwendige Erdgasmengen, als operative und Sicherheitsreserven, in unterirdischen Speichern für den kommenden Winter gespeichert.

Gasproduktion wächst stetig

Seit Beginn des laufenden Jahres steigern die staatlichen Unternehmen Ukrgasvydobuvannya und Ukrnafta der Naftogaz-Gruppe immer die Produktion des Erdgases. In neun Monaten 2024 förderten sie über 11 Milliarden Kubikmeter Erdgas, ein Plus von 0,7 Milliarden Kubikmeter im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Der Naftogaz-Chef Olexij Tschernyschow sagte gegenüber Ukrinform: „In dieser Heizsaison, wie auch im der vorherigen, wollen wir die Bevölkerung und andere Kunden im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen (Public Service Obligations, PSO) ausschließlich mit Gas aus eigener Produktion versorgen. Wir übertreffen derzeit die geplanten Produktionsmengen um 2 Prozent.“ Die Mitarbeiter des Konzerns bohren nach seinen Worten nicht nur neue Bohrungen, sondern modernisieren durch neue Technologien die alten. Das Unternehmen untersucht seine erschlossenen Gasfelder und führt Explorationsbohrungen durch.

„In einem Erdgasfeld bohrten wir eine Explorationsbohrung mit einer Fördermenge von 274 Kubikmeter Gas. Die Förderung stieg dort um 17 Prozent. Das bedeutet, dass dieses Gasfeld trotz des Alters und der Erschöpfung perspektivisch für weitere Bohrungen ist“, sagte der geschäftsführende Chef von Ukrgasvydobuvannya Serhij Lagno.

Nach Worten des Redakteurs der Fachzeitschrift ExPro Gas&Oil, Mychajlo Swyschtscho, verzeichnen Ukrgasvydobuvannya und Ukrnafta im Laufe des Jahres einen stabilen Anstieg der Produktionsmengen von Erdgas. Seit dem September würden das Erdgas auch die Unternehmen Ukrnaftoburinnya und Smart Energy wieder fördern. Nach Einschätzungen von ExPro wurden im Oktober dieses Jahres in der Ukraine täglich 53,5 Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert, eine Millionen Kubikmeter mehr als im Oktober des Vorjahres.

Neben der Gasförderung lagerte Naftogaz auch ausreichend Gas in den unterirdischen Speichern. Nach Angaben von ExPro lagern in den unterirdischen Gasspeichern Ende Oktober 12,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Diese Menge reicht für eine stabile Gasversorgung während der diesjährigen Heizperiode, bestätigt Swyschtscho.

Gleichzeitig mit dem Auffüllen der Gasspeicher bildet Naftogaz eine so genannte Sicherheitsreserve. Das Unternehmen kauft Importgas, das im so genannten „Zolllagerverfahren“ gelagert wird. Der Kauf wird mit einem Kredit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in Höhe von 200 Millionen Euro finanziert. Der Konzern pumpt Erdgas seit Beginn des Septembers und im Oktober in die ukrainischen Speicher.  

Laut ExPro wurden im September etwa 158 Millionen Kubikmeter dieses Erdgases gepumpt. Ende Oktober kann diese Sicherheitsreserve 300 Millionen Kubikmeter betragen. Die Menge könne zusammen mit dem im „Zolllagerverfahren“ gelagerten Gas aus den vorherigen Jahren Verbrauchsspitzen im Winter kompensieren, so Swyschtscho.

Erdgas spielt größere Rolle in Energiebilanz

Nach der Zerstörung von Wärmekraftwerken durch russische Angriffe, die den Stromverbrauch in Spitzenlastzeiten sicherstellten, wird im Land eine verteilte Stromerzeugung ausgebaut.

„Dank der Zusammenarbeit mit UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen – Red.) und der Unterstützung der norwegischen Regierung werden wir bald Generatoren erhalten, die weitere 80 Megawatt in das ukrainische Stromnetz einspeisen. Das kann mehr Strom und Wärme für die Einwohner einer Region gewährleisten“, sagte der Chef von Naftogaz Olexij Tschernyschow. Die Naftogaz-Gruppe trägt damit zur Stärkung des Energiesystems bei, das viel Stromerzeugungskapazität infolge der russischen Angriffe verlor. An das Netz werden die Generatoren anderer Unternehmen angeschlossen, die Gas verbrauchen.  

„Die statistischen Angaben sind meistens Verschlusssache, aber aus den öffentlich zugänglichen Informationen wissen wir, dass der Gasverbrauch im Vergleich zum letzten Jahr gestiegen ist. Wir gehen davon aus, dass dies auf die gestiegene Nachfrage nach dem Gas speziell für die Stromerzeugung zurückzuführen ist“, sagt der Experte des Programms „Energie“ der Denkfabrik Ukrainian Іnstitute for the Future Adrian Prokip. Dabei liege der Gasverbrauch der Bevölkerung und der kommunalen Einrichtungen innerhalb des statistischen Fehlers. Damit werde die Schlüsselrolle des Erdgases in der Energiebilanz des Landes immer größer.

Der Experte stellt fest, dass der Verlauf der Heizsaison von dem Krieg beeinflusst wird. Wenn die Russen die Infrastruktur der unterirdischen Gasspeicher erheblich beschädigen würden, dann muss man auf den Import zurückgreifen. Ohne Beschädigungen sollte Gas ihm zufolge ausreichen. Prokip betont, dass der erhöhte Gasverbrauch durch das Wachstum seiner Förderung ausgeglichen wird.  

Nicht nur Gasförderung und Speicher

Der Konzern Naftogaz weist darauf hin, dass es für die erfolgreiche Heizperiode nicht ausreicht, die Gasproduktion einfach zu steigern. „Viel hängt von der effektiven Zusammenarbeit der Energieunternehmen mit der lokalen Selbstverwaltung ab, die möglich macht, dieses oder jenes Problem schnell zu lösen. Wir kommunizieren eng mit den Gemeinden über die rationelle Nutzung von Energieressourcen, die pünktliche Bezahlung von Gasrechnungen und lösen Probleme in kürzester Zeit“, erklärte Tschernyschow.

Der Gasversorger Naftogaz Trading, der kommunale Einrichtungen, Behörden und religiöse Organisationen mit Gas versorgt, schloss Tschernyschow zufolge bis Ende Oktober Verträge mit mehr als 6.000 Verbraucher im ganzen Land ab.

Das Unternehmen bereitete auch ein Verteilnetz auf die Heizperiode vor. Die Mitarbeiter des Netzbetreibers LLC GAS DISTRIBUTION NETWORKS OF UKRAINE sorgten dafür, dass notwendige Ressourcen für betriebliche Reparaturen in den Filialen in den frontnahen Gebieten in den Regionen Donezk, Sumy, Tschernihiw, Charkiw und in den anderen Regionen vorhanden sein müssen. In diesen Regionen leidet die Gasinfrastruktur unter ständigen Angriffen.

„Seit Anfang dieses Jahres behob der Notdienst des Netzbetreibers mehr als 1.400 Beschädigungen, die von Kämpfen verursacht wurden, und stellte die Versorgung für 58.000 ukrainische Familien wieder her. Unsere Fachkräfte arbeiten in den Frontortschaften weiter, weil das Erdgas dort fast der einzige verfügbare Energieträger bleibt“, so Tschernyschow.

Er unterstrich, dass der Gaspreis für die Bevölkerung, Behörden nach dem Beschluss des Ministerkabinetts stabil und mindestens bis Ende der Heizsaison unverändert bleibt. Auf diese Weise verteile der Staat die finanzielle Last während des Krieges.

Obwohl die Ukraine laut Naftogaz nach wie vor ein energiestarkes Land ist, muss sie aber noch für die Umsetzung neuer Ansätze zur Nutzung von Energieressourcen viel tun. „Wir verfügen über eine gut entwickelte Gasinfrastruktur, Vorkommen und geeignete Naturbedingungen. Allerdings müssen wir noch lernen, die von der Natur bereitgestellten Ressourcen effektiv zu nutzen. Dabei geht es in erster Linie nicht über die Staatspolitik, sondern über kleine Schritte von jedem von uns. Jede Gemeinde, jeder Ukrainer müssen sich über eigene Energieeffizienz kümmern, die ermöglichen wird, die schwierigsten Zeiten gemeinsam zu überleben“, meint Tschernyschow.

Und es ist schwer, dem zu widersprechen…

Maryna Netschyporenko, Kyjiw

Erstes Foto: Gettyimages