Ewa Ernst-Dziedzic, Sprecherin der Österreichischen Grünen für Außenpolitik, Migration und Menschenrechte
Putin führt einen Krieg gegen das gesamte Europa
15.07.2023 11:17

Ich möchte unser Gespräch mit der Frage beginnen, ob der großangelegte Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar letzten Jahres in Österreich ähnlich wie im Nachbarland Deutschland als Zeitenwende wahrgenommen wurde?

Ich denke, das war eine Zeitenwende für ganz Europa. Und das Problem, das ich sehe in Österreich oder in einzelnen Staaten, ist, dass das eben nicht als eine europäische, als eine sicherheitspolitische, als eine globale Zeitenwende betrachtet wird, sondern dass viele in Europa der Meinung sind, auch in Österreich, dass es eine ukrainische Angelegenheit ist. Und ich glaube, das ist der große Fehler, weil das Ganze eben keine rein ukrainische Angelegenheit ist. Putin hat mit diesem Angriffskrieg die gesamte Sicherheitsinfrastruktur in Europa zusammengeschlagen. Er hat das Völkerrecht gebrochen. Er hat jegliche internationale Vereinbarung gebrochen. Und dann können wir nicht sagen, es betrifft nur die Ukraine. Vor allem wissen wir, dass Putin auch den anderen Staaten droht. Die Leute in Polen haben das begriffen, die Leute in den baltischen Staaten haben das verstanden, aber im Westen haben das viele noch nicht verstanden.

Und deswegen versuche ich hier in Österreich auch so viel Aufklärung zu betreiben, um einfach aufzuzeigen, dass es hier nicht nur um die Ukraine geht. Es geht um ganz Europa. Es geht um das Feindbild von Putin.

Welche Schlussfolgerungen hat das neutrale Österreich aus dem aggressiven Krieg Russlands gegen die Ukraine, dem größten seit dem Zweiten Weltkrieg, gezogen?

Ich finde, dass Österreich sich hier leider auch lange Zeit hinter dieser Neutralität versteckt hat. Wir hätten viel früher reagieren müssen, nämlich 2014, als Putin in die Krim einmarschiert war. Da hätten wir Stopp sagen müssen.

Stattdessen hat Österreich damals – vor allem die konservativen und die rechten Parteien –Putin roten Teppich ausgerollt und mit ihm Geschäfte gemacht. OMV, Raiffeisen, um nur zwei Beispiele zu nennen, haben gut profitiert, haben investiert und haben gesagt: okay gut, aber die Krim, da gibt es geschichtlich vielleicht irgendwelche Gründe dafür. Die haben damals schon nicht verstanden, worumes Putin geht.

Und heute sehen wir die Auswirkungen davon. Und es gibt in Österreich noch immer Leute, die sagen, es wird sich wieder beruhigen. Aber das ist der große Fehler.

Hat diese Aggression die Einstellung des Landes zur nationalen Sicherheit beeinflusst? Hat sich der Wunsch bei Österreichern und Österreicherinnen nach kollektiver Sicherheit verstärkt, die derzeit nur NATO am besten gewährleisten kann?

In Österreich wollen laut Umfragen zwei Drittel der Menschen die Neutralität behalten. Und das bedeutet, nicht der NATO beizutreten.

Das wird natürlich auch kritisiert, weil wir von NATO-Staaten umgeben sind und von der Sicherheit profitieren. Und gleichzeitig sagen wir, wir sind aber neutral.

Es mag sein, dass Österreich militärisch neutral ist, aber wir sind nicht moralisch neutral. Wir können nicht einem Kriegsverbrecher gegenüber neutral sein. Da hört die Neutralität auf.

Und auch wenn Österreich nicht der NATO beitritt, im Parlament haben wir im Moment gerade Diskussionen über eine neue Sicherheitsstrategie. Das Parlament arbeitet gerade an einem neuen Papier, einer neuen Sicherheitsstrategie. Und da geht es genau um diese Fragen, wie können wir in Österreich und in ganz Europa, Sicherheit garantieren, in Zeiten, wo wir merken, dass dieser Krieg mehrdimensional ist.

Man kann sich natürlich verstecken und sagen, die Bomben fallen nur auf ukrainischem Gebiet. Aber Fakt ist, dass Putin Krieg gegen ganz Europa führt. Es ist ein Wirtschaftskrieg, ein Energiekrieg, es ist ein hybrider Krieg. Und das verstehen viele Menschen nicht, dass unsere Sicherheit genauso gefährdet ist und dass dieser Krieg sich nicht nur gegen die Ukraine richtet, sondern gegen uns alle.

Und deswegen ist es auch so wichtig, die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir solidarisch mit der Ukraine sind. Denn wenn wir Ukraine aufgeben, geben wir ganz Europa auf. Davon bin ich überzeugt.

Ich wollte gerade über die Sicherheitsstrategie fragen. Gilt es noch die alte, wo Russland als „wichtiger Partner“ der österreichischen Außenpolitik bezeichnet wird?

Nein, das ist vorbei. Die Zeiten, in denen Russland als Bündnispartner bezeichnet wird, sind, glaube ich, vorbei.

Es gibt in Österreich nur eine Partei, die FPÖ, die hier sozusagen noch immer versucht zu erklären, dass wir Russland als Partner sehen müssen.

Von einem Partner, der Kinder, Frauen vergewaltigt, der einen Ökozid betreibt, der Kriegsverbrechen begeht,müsste man sich scheiden lassen und nicht gemeinsame mit ihm Geschäfte machen.

Und wann wird die neue Strategie erarbeitet?

Wir wollen bis zur Parlamentssommerpause einen ersten Entwurf haben und dann mit den anderen Parteien natürlich auch besprechen, so dass wir das im Spätherbst maximal bis Ende des Jahres auch beschließen können.

Welcher Platz sollte Russland Ihrer Meinung nach in dieser Strategie eingeräumt werden?

Sicherlich nicht als Bündnispartner. Russland stellt im Moment für Europa eine Gefahr dar. Ich glaube, Europa muss verstehen, dass Russland kein verlässlicher Partner ist. Russland bedroht ganz Europa.

Wie sollen wir mit Russland gemeinsame Sachen machen, wenn wir uns nicht darauf verlassen können, dass das, was Russland heute sagt, morgen noch Gültigkeit hat? Wer das Völkerrecht bricht, also sich nicht an den Mindeststandard von internationalen Vereinbarungen hält, der ist kein Partner für uns.

Ich war immer der Meinung, dass es wichtig ist, mit Osteuropa, vor allem nach 1989, zusammenzuarbeiten. Obwohl ich selber weiß, wie repressiv das sowjetische System war bis 1989, war ich bis vor Kriegsbeginn der Meinung, man muss mit Russland irgendein Auskommen finden. Jetzt bin ich der Meinung, man kann sich auf Russland nicht verlassen. Wir brauchen andere Bündnispartner. Wir brauchen ein starkes Europa. Wir müssen raus aus den ganzen Abhängigkeiten. Wenn wir in diesen Abhängigkeiten bleiben, ist das wie in einer toxischen Beziehung oder in einer toxischen Ehe. Man leidet darunter und kann aber nicht gehen, wenn man abhängig ist.

In Ihrer Rede bei einer Veranstaltung der ukrainischen Gemeinde in Wien am 8. Mai haben Sie unter anderem gesagt, dass das, was Russland in der Ukraine tut, Faschismus ist. Können wir heute über Russland als faschistisches Land sprechen?

Ich denke, dass die Kriterien für Faschismus sichtbar sind.

In Österreich sagen wir immer „Nie wieder!“. Also nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder Nazis.

Und wenn wir genau zuhören, was Putin sagt, dann sagt er, Ukraine hat kein Existenzrecht. Die Ukraine gibt es gar nicht. Die Ukrainer, die tun wir jetzt alle assimilieren und zu Russen machen. Und wir tun einen souveränen Staat, einen selbstständigen Staat überfahren, halten uns an keine Gesetze und machen einfach mit dem Land, was wir wollen, weil wir der Meinung sind, die haben kein Recht auf ein eigenständiges Leben.

Was ist das sonst, wenn nicht Faschismus?

Was ist das sonst, wenn nicht das Gleiche, was Hitler schon bei Polen gesagt hat?

Es ist für mich das Gleiche.

Ist dann Putin ein neuer Hitler?

Ich ziehe nie Vergleiche mit dem Dritten Reich und schon gar nicht mit Holocaust. Das, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, das ist natürlich einmalig. Deswegen kann man das nicht eins zu eins vergleichen. Und auch Geschichte wiederholt sich nie eins zu eins.

Aber in unterschiedlichen Variationen wiederholt sich die Geschichte. Und die Anzeichen für faschistische, faschistoide Systeme sind sehr ähnlich. Das ist der Punkt, dass wir genau das erkennen müssen, dass diese Auslöschungsfantasie von Putin eine ähnliche ist wie die Fantasien von einem Hitler damals.

Russland hat Tausende von ukrainischen Kindern deportiert und gleichzeitig Maßnahmen ergriffen, um sie ihrer nationalen Identität zu berauben. Und gleichzeitig, wie Sie das schon gesagt haben, spricht Putin der Ukraine das Existenzrecht ab. Die Russen töten die Ukrainer, nur weil sie Ukrainer sind. Können wir all dies als Völkermord bezeichnen, den Russland am ukrainischen Volk begangen hat?

Es sind Kriegsverbrechen und es sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wenn wir alleine Butscha hernehmen, ist das klar.

Für Völkermord ist es immer so, dass es, nachdem etwas abgeschlossen ist, so wie Srebrenica zum Beispiel, erst im Nachhinein Gerichte gibt, die sich damit befassen und das beurteilen. Das heißt, es ist keine politische Entscheidung, sondern eine juristische Entscheidung.

Ich denke, dass es in genau diese Richtung geht, weil eben Putin den Ukrainern das Existenzrecht abspricht und sie einfach ermorden möchte.

Und in dieser Situation mit den Kindern ist auch hier wieder eine Ähnlichkeit. Wie ich gesagt habe, die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, aber in Variationen. Ich kenne das aus Polen aus den Erzählungen meiner Oma, die gesagt hat, man hat im Dorf die Kinder mit blonden Haaren und blauen Augen rausgeholt, die Babys, und hat sie nach Deutschland geschickt und hat sie zu Deutschen gemacht. Das hat das Naziregime genauso gemacht.

Das heißt, diese Strategie der Verschleppungen und diese Strategie, dass man vor allem Kinder assimiliert und sie der eigenen Identität beraubt, das ist nichts Neues, sondern genau das hat System. Das hat in Russland System und das hat eben in faschistoiden Systemen System. Und genau das macht Russland jetzt wieder.

Österreich unterstützt die Ukraine bei der Untersuchung von den russischen Kriegsverbrechen, sowie bei der Einrichtung eines Sondertribunals für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine. Glauben Sie persönlich, dass alle Kriegsverbrecher, einschließlich Putin, vor Gericht gestellt werden?

Das wird die Zeit weisen. Wichtig ist, dass wir darauf pochen, dass das passiert und dass wir Instrumente haben, damit das passieren kann. Ob das dann später möglich sein wird, Putin nach Den Haag vor Gericht zu bringen, das kann ich heute nicht sagen, weil ich nicht weiß, wo er dann ist, ob er noch lebt oder welcher Doppelgänger von ihm gerade unterwegs ist.

Aber dass das passieren muss, das ist natürlich klar. Das muss auf jeden Fall passieren. Und der internationale Gerichtshof hat ja auch schon festgestellt, dass Putin ein Kriegsverbrecher ist.

Im Juni fand in Wien der so genannte "Internationale Gipfel für den Frieden in der Ukraine" statt, bei dem die Organisatoren Sie zunächst als Teilnehmerin genannt haben. Später haben Sie aber Ihre Videoansprache zurückgezogen. In der nach der Konferenz verabschiedeten “Wiener Erklärung für den Frieden“  wird zwar ein sofortiger Waffenstillstand gefordert, gleichzeitig wird aber weder das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung anerkannt, noch wird Russland aufgefordert, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Ihrer Meinung nach helfen solche Konferenzen überhaupt, einen gerechten und nachhaltigen Frieden in der Ukraine zu erreichen? Und kann dieser Frieden ohne den Abzug der russischen Truppen erreicht werden?

Die Geschichte zeigt uns, es gibt keinen Frieden ohne Freiheit. Und es gibt jetzt keine Bereitschaft von Russland, einen Waffenstillstand einzugehen, die annektierten Gebiete zurückzugeben und die verschleppten Kinder wieder in dieUkraine zurückzubringen. Es geht - im Gegenteil - weiter, es wird schlimmer.

Nehmen wir auch das her, was mit dem Staudamm Kachowka passiert ist. Da sind ja nicht nur Menschen zu Tode gekommen, sondern das ist auch ein Ökozid. Das heißt, es gibt nicht nur Kriegsverbrechen an Menschen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern es gibt auch Umweltverbrechen, die Konsequenzen auf die nächsten Generationen haben werden.

Und da frage ich mich, wo ist ein gleichberechtigter Verhandlungspartner, mit wem soll man den Waffenstillstand verhandeln?

Ich verstehe Menschen, die einfach sagen, sie wünschen sich Frieden, sie sind gegen Aufrüstung, sie sind gegen Krieg. Bin ich auch. Und wie damals ein paar Leute auf mich zugekommen sind und gesagt haben, sie planen eine Diskussion, wo man das alles sachlich diskutiert, wo auch die ukrainische Seite eingebunden wird, habe ich ihnen gesagt, ich bin zwar nicht da, weil auf einer Konferenz in Korea, aber ich schicke euch gerne ein Video-Statement mit meiner Meinung dazu.

Aber dann habe ich gesehen, wen die alles eingeladen haben und in welche Richtung das geht, also welche politische Ausrichtung das bekommt. Und dann war natürlich klar, dass ich nicht einmal ein Video-Statement schicke, weil das am Ende eigentlich Propaganda für Russland war und mit Friedensbemühungen wenig zu tun gehabt hat.

Russlands Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat katastrophale Folgen für die Umwelt, wie Sie bereits erwähnt haben. Der Internationale Strafgerichtshof wird sich mit dem Fall befassen. Wird Österreich die internationalen Bemühungen unterstützen, Russland für diesen Ökozid zur Rechenschaft zu ziehen? 

Unbedingt. Gerade weil wir militärisch neutral sind und die Ukraine nicht anders als mit humanitärer Hilfe unterstützen, haben wir die Verpflichtung, die Ukraine auf anderen Ebenen zu unterstützen. Die Aufklärung von Kriegsverbrechen ist eine Möglichkeit dazu. Im Staudamm-Fall müssen wir aufklären, wie es dazu kommen konnte und welche weitreichenden Konsequenzen das Ganze hat, nicht nur für die Menschen in der Ukraine, sondern eigentlich auch hier wieder für ganz Europa.

Und dann bin ich wieder bei dem, was ich am Anfang gesagt habe. Ich werde nicht aufhören, den Menschen in Österreich zu erklären, dass es nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine und die Ukrainer ist. Es ist eigentlich ein Krieg gegen uns alle, den Putin hier angezettelt hat. Und der findet auch auf unterschiedlichen Ebenen statt. Man versucht, Europa von Energiequellen abzuschneiden. Man versucht, auf hybrider Ebene politische Systeme lahmzulegen. Man zerstört die Umwelt. Sechs Millionen Tiere wurden in der Ukraine umgebracht. Darüber redet niemand. Und Wälder, wie viele Wälder sind verbrannt, wie viele Gebiete vermint worden? Das hat Konsequenzen für ganze Generationen, auch wenn der Krieg heute aufhören würde. Diese ganzen Verbrechen, die werden Es wird Ewigkeiten dauern, bis wir diese ganzen Verbrechen aufklären können.

Und da, denke ich, kann Österreich Vorreiter sein, weil wir eben als neutrales Land auch das Know-how haben, also die Expertise, in genau diesen Bereichen. Und deswegen ist es auch, glaube ich, umso wichtiger, dass wir das unterstützen.

Meiner Meinung nach sind diese ökologischen Folgen des Krieges international nicht ausreichend beachtet. Welche Rolle kann die Grüne Partei als Umweltpartei hier spielen, auch auf europäischer Ebene?

Ich war eben auf einer Konferenz der globalen Grünen aus der ganzen Welt in Südkorea. Und ich habe das dort zum Thema gemacht, diesen Ökozid in der Ukraine. Und habe gemerkt, dass da großes Interesse seitens der Grünen Parteien ist.

Wir verstehen alle, dass der Krieg nicht nur Konsequenzen für Menschen hat, wenn man ihre Häuser zerstört, sondern dass es Konsequenzen hat für mehrere Generationen und für ganz Europa. Und ich denke, gerade die Grünen haben eine besondere Aufgabe hier als Ökopartei, genau diese Aufklärung auch zu betreiben und auch aufzuzeigen, welche weitreichenden Konsequenzen dieser Ökozid in der Ukraine hat.

Vor kurzem haben Sie zusammen mit Ihren Kollegen aus dem österreichischen Parlament die Ukraine besucht. Was sind Ihre Eindrücke von dieser Reise?

Ich war beeindruckt von der Widerstandskraft der Menschen. Seit 500 Tagen leben sie in ständiger Alarmbereitschaft und Angst um ihre Angehörigen und dennoch scheint ihr Wille, diese andauernde Katastrophe durchzustehen, unerschütterlich. Ein mulmiges Gefühl blieb trotzdem: Was, wenn wir aufhören, die Ukraine zu unterstützen und es keine Abwehr und Option auf Selbstverteidigung mehr gibt? Dann wird wohl das Land, so wie es dem Kriegsverbrecher Putin vorschwebt, tatsächlich ausgelöscht. Das ist einer der Gründe, wieso ich bereits zum vierten Mal das Land im Inneren besuchte – um zuhause und im restlichen Europa aufzurütteln, dass es hier um unseren gemeinsamen, europäischen Frieden geht. Um die Freiheit in ganz Europa und um das Völkerrecht, das der Kreml seit knapp 500 Tagen mit enormer Brutalität mit Füßen tritt.

Die Abgeordneten der Freiheitlichen Partei haben an dieser Reise nicht teilgenommen, wie an den vorherigen. Warum wollen sie nicht in die Ukraine reisen, um selbst mit seinen eigenen Augen zu sehen, was passiert?

Weil sie reaktionäre Rechtsextremisten und Putinversteher sind. Und weil sie das anscheinend gut finden, dass man ein Land einfach überfallen kann und sich holen kann, was man will. Weiß ich nicht, keine Ahnung.

Ich meine, Sie kennen die Bilder unserer Ex-Außenministerin, die vor Putineinen Knicks macht, gemeinsame Geschäfte, Selfies in Moskau. Sie hatten auch einen Kooperationsvertrag. Also anscheinend erwartet man sich ideologischen Support.

Die Freiheitliche Partei Österreichs ist die einzige der Parlamentsparteien, die eine offen pro-russische Position vertritt und sich gegen die derzeitige Unterstützung der Ukraine seitens Bundesregierung stellt. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Haltung der FPÖ?

Sie sind rechtsextrem. Sie sind reaktionär. Sie teilen eine menschenfeindliche Ideologie und erwarten sich vielleicht, weiß ich nicht, Rückendeckung oder geben sich gegenseitig Rückendeckung.

Das Problem, das ich in Österreich sehe, ist, dass zwar die FPÖ die einzige Partei ist, die das so offen zur Schau trägt, aber wir haben auch mit der SPÖ ein Problem. Ich erinnere mich an dem Moment, als Selenskyi im Parlament gesprochen hat. Er hatte gerade mal seine Rede begonnen, als ich zu den Reihen der SPÖ hinübergeschaut habe. Ich fragte mich, wo die alle sind? Die Hälfte der Abgeordneten war nicht da.

Und was ist mit der SPÖ?

Ich weiß es nicht.

Oder es gibt noch irgendwie den alten Pathos aus Sowjetzeiten, also Leute, die der Sowjetzeit nachweinen. Oder es gibt Leute, die gutes Geld verdienen in russischen Aufsichtsräten, die einfach von der Geschichte keine Ahnung haben. Ich weiß es nicht.

Gerade als Linke kann man das nicht gut finden. Ich habe aber das Gefühl, dass im Westen, zum Beispiel in Österreich, bei der Sozialdemokratie, die Leute einfach nicht verstehen, was bis 1989 in den Satellitenstaaten der Sowjetunion los war. Die idealisieren das total. Die glauben, das war die Umsetzung der marxistischen Theorie.

Ich bin auch links. Ich verstehe schon, dass man durch die marxistische Brille teilweise auch die Ökonomie erklären kann. Aber das, was das sowjetische Regime daraus gemacht hat, den Realsozialismus, das war diktatorisch, das war repressiv und das war eine reine Unterdrückung. Und die Leute, die hier im Westen auf ihren warmen Sesseln sitzen, haben einfach keine Ahnung davon, und idealisieren das. Und in der SPÖ gibt es viele Leute, die das idealisieren.

Trotz der Bemühungen, seine Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, bezieht Österreich immer noch etwa die Hälfte seines Gases aus Russland. Plant die Bundesregierung, vollständig auf russisches Gas zu verzichten? Wenn ja, wann kann dies geschehen?

Politisch wollen wir darauf verzichten. Juristisch geht es nicht so einfach, weil die OMV nicht nur staatlich, sondern auch privat ist. Und es gibt Verträge. Wir können nicht in Österreich Privatunternehmen sagen, ihr müsst da jetzt raus, sofort. Sondern wir müssen uns Schritt für Schritt unabhängiger machen.

Mir geht das zu langsam. Ich finde das schrecklich, dass wir mit diesen Verträgen in die russische Kriegskasse einzahlen. Ich finde das untragbar. Und gleichzeitig merken wir, wie Russland über diese Softpower gerade Länder wie Österreich von sich abhängig gemacht hat. Und wie schwierig das für diese Länder jetzt ist, da auszusteigen, weil natürlich auch wir heizen müssen.

Es geht zu langsam. Es ist sehr bedauerlich. Wir sind hier ein bisschen in der Zwickmühle.

Von ukrainischer Seite gab es auch erhebliche Kritik an der österreichischen Raiffeisen Bank International, die weiterhin erfolgreich in Russland tätig ist. Schadet die Fortführung des RBI-Geschäfts Ihrer Meinung nach dem internationalen Image Österreichs?

Ja. Es ist eine Imagebeschädigung. Und nicht nur das, sondern ich finde es auch moralisch nicht vertretbar. Man kann nicht einfach so weiter Geschäfte machen, als wäre nichts. Das geht sich für mich nicht aus.

Wir wissen mittlerweile, dass die Sanktionen gegen Russland wirken. Die haben Wirkung. Auch wenn Putin sagt: „Nein, nein, ist mir alles egal“. Seine Kassen sind leer. Und das hat Auswirkungen.

Und ich habe von Beginn an gesagt, wenn wir Russland dazu bekommen wollen, dass dieser Krieg aufhört, müssen wir auch Druck machen auf die Leute, die Putin unterstützen. Das sind reiche Leute, Oligarchen, Geschäftsmänner. Das heißt: wenn wir deren Konten einfrieren, wenn der Rubel nicht mehr rollt, dann werden sie sich auch gegen diesen Krieg wenden. Nicht vorher. Wenn sie vom Krieg profitieren, werden sie weiterhin Putin unterstützen.

Vor kurzem gab es in Österreich eine recht heftige Diskussion über die Unterstützung der Ukraine im Bereich der Entminung. Der Bundeskanzler und die Verteidigungsministerin betonten, dass Österreich keine Truppen in die Ukraine schicken werde, um sich an einer Minenräumung zu beteiligen.  Aber wie kam es überhaupt zu dieser Frage der Entsendung von den österreichischen Soldaten in die Ukraine, hat die ukrainische Regierung darum gebeten?

Das war eine sehr absurde Debatte. Man hatte das Gefühl, die einen wollen, die anderen kritisieren und haben etwas kritisiert, was die anderen gar nicht gewollt oder gesagt haben.

Österreichs Präsident hat gesagt, wir müssen die Ukraine unterstützen. Wie ich vorher gesagt habe, haben wir Know-how und Expertise in gewissen Bereichen. Wir sind militärisch neutral. Umso wichtiger ist es, die anderen Mittel einzusetzen, um der Ukraine zu helfen. Und die Entminung von den bereits verlassenen Gebieten ist enorm wichtig, damit die Bevölkerung zurückkehren kann, damit die Kinder nicht in die Luft gesprengt werden. Also für uns, die Grünen, ist die Sache klar, worüber reden wir überhaupt. Natürlich müssen wir das tun.

Und niemand hat gesagt, Österreich schickt jetzt das Bundesheer dorthin. Wir können auch die Ukraine anders dabei unterstützen. Wir können auch andere Länder dabei unterstützen, das zu tun.

Das heißt, niemand von uns hat verstanden, wieso diese Debatte so verdreht worden ist, als würde jetzt Österreich direkt in den Krieg einsteigen. Da war ein bisschen politische Stimmungsmache dabei, glaube ich.

Schließlich wurde beschlossen, eine slowenische Organisation für Minenräumung finanziell zu unterstützen, die dann der Ukraine weiter helfen wird. Ich möchte fragen, ob es möglich ist, dass Österreich später noch eigene Entminungsgeräte in die Ukraine schickt und mit seinem Know-how hilft? Und wie sehen Sie die Idee, ukrainische Minenräumer in Österreich auszubilden?

Österreich hilft der Ukraine bereits bei Schulung der Leute, die Kriegsverbrechen dokumentieren, damit man sie später aufklären kann. Ich glaube, wir können auch die Ukrainer:innen schulen, wenn es um Entminung geht. Wir müssen mit allen Mitteln die Ukraine unterstützen und das zählt dazu.

Natürlich braucht es auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine und es braucht solche Vereinbarungen, die halten. Im Moment ist es kaum zu glauben, dass sich Russland an irgendwelche Vereinbarungen halten wird. Russland hält sich nicht an das Völkerrecht.

Und was wir tun müssen, wir alle, als gesamtes Europa und somit auch Österreich, ist die Ukraine, wenn der Krieg hoffentlich mal vorbei ist, beim Wiederaufbau zu unterstützen. Das ist ja nicht so, dass der Krieg irgendwann mal vorbei ist und dann ist wieder alles gut.

Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass die Ukraine das dann auch nach dem Krieg mit unserer Unterstützung schafft, weil das ein enorm starkes Volk ist.

Ukraine erwartet noch von Österreich Unterstützung in Form von Anti-Drohnensystemen und anderen nicht-tödlichen Mitteln. Wäre die Weitergabe von Drohnenabwehrsystemen durch Österreich an die Ukraine eine Verletzung der Neutralität?

Das interpretieren unterschiedliche Menschen unterschiedlich. Wenn wir Selbstverteidigung sagen, dann heißt das natürlich auch alles zu tun, um Angriffe abzuwehren. Auf der anderen Seite sind Drohnen trotzdem Kampfmittel. Und die österreichische Neutralität lässt es nicht zu, dass wir Kampfmittel ins Kriegsgebiet schicken.

Aber auch hier ist es so, dass Österreich Teil der Europäischen Union ist. Und wenn wir auf europäischer Ebene beschließen, die Ukraine mit solchen Anti-Drohnensystemen zu unterstützen, dann wird das Österreich nicht mit dem Zug von Wien schicken, sondern sich an diesem Paket in Brüssel beteiligen.

Und noch die Frage über Leopard-Panzer, die auch das österreichische Bundesheer im Einsatz hat. Aus Gründen der Neutralität wird Österreich die sicherlich nicht an die Ukraine weitergeben. Aber ich möchte fragen, ob die Ausbildung der ukrainischen Soldaten auf dem Leopard-Panzer in Österreich möglich wäre?

Österreich beteiligt sich gerade im Moment auch an der Ausbildung der NATO-Truppen.

Ja, von Ungarn und Tschechien.

Genau. Das heißt, wenn unsere Neutralität es zulässt, mit NATO-Truppen auszubilden, wieso soll unsere Neutralität nicht zulassen, dass wir Ukrainern helfen, Instrumente zu bedienen, die für ihre Selbstverteidigung wichtig sind?

Aber ich habe das Gefühl, dass diese Debatte in Österreich eine sehr, sehr schwierige ist. Und ich bin immer sehr pragmatisch. Bevor wir jetzt monatelang darüber diskutieren, ob wir etwas tun oder nicht, hat die Ukraine nichts davon. Dann sollen wir besser das tun, was wir auf jeden Fall tun können. Und andere Länder sollen andere Aufgaben übernehmen.

Der eine Staat hat mehr Expertise bei den Panzern und der andere Staat hat mehr Expertise bei Katastrophenhilfe. Und wenn Österreichs Rolle ist, mehr auf humanitäre Hilfe, Katastrophenhilfe, Hilfe für Versorgung mit Medikamenten beispielsweise zu setzen, und wir das schneller machen können, dann bin ich dafür, dass wir das tun, was wir schneller machen können, weil die Ukraine die Hilfe jetzt akut braucht. Anstatt ein Jahr lang im Parlament zu diskutieren, dürfen wir das oder dürfen wir das nicht.

Und noch die letzte Frage. Zu den vielen Aspekten der österreichischen Hilfe gehört auch die Behandlung von verwundeten Zivilisten aus der Ukraine, vor allem Frauen und Kinder, zur Behandlung, wofür die Ukrainer sehr dankbar sind. Gleichzeitig sind die ukrainischen Krankenhäuser mit schwer verwundeten Soldaten überfüllt. Können auch ukrainische Soldaten zur Behandlung aufgenommen werden?

Ehrlich, ich sehe hier keinen Unterschied. Es sind Menschen. Wenn wir Menschen in Österreich behandeln, dann schaue ich nicht in den Ausweis, was für ein Mensch das ist. Wenn das ein Mensch ist, der vom Krieg betroffen ist, dann hat er ein Recht auf Hilfe.

Also das wäre keine Verletzung der österreichischen Neutralität, ukrainische schwer verletzte Soldaten zu behandeln?

Aus meiner Sicht, nein. Das wäre es nicht.

Wien, Wasyl Korotkyj

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