Paul Grod, Präsident des Ukrainischen Weltkongresses
Wir führen mehrere Kampagnen durch, um die Militärhilfe für die Ukraine zu erhöhen
16.11.2023 18:42

Die vollumfassende Invasion der Ukraine durch Russland hatte seismische Veränderungen in der ukrainischen Diaspora zur Folge. Langjährige Streitigkeiten gerieten in Vergessenheit und alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich darauf, der Ukraine und den Menschen zu helfen, die gezwungen waren, im Ausland Zuflucht zu suchen. In den fast zwei Jahren, die seitdem verstrichen, ist die Unterstützung der Gemeinschaft für die Ukraine noch stärker geworden, und auch die Gemeinschaft selbst ist stärker und einflussreicher in der Welt geworden. Ukrinform sprach über die aktuelle Stimmung in der ukrainischen Diaspora und ihre Visionen für die Zukunft mit dem Präsidenten des Ukrainischen Weltkongresses (UWC), Paul Grod.

DER SIEG DER UKRAINE STEHT AN ERSTER STELLE

Letzten Monat wurde der 12. Weltkongress der Ukrainischen Gemeinschaft statt, auf dem Sie erneut zum Präsidenten des UWC gewählt worden sind. Was sind die Prioritäten Ihrer Arbeit in den nächsten vier Jahren?

Die Prioritäten werden die gleichen bleiben wie im letzten Jahr, aber die Taktik und die Strategie, um diese Prioritäten zu erreichen, werden weiter verfeinert. Die drei Hauptarbeitsbereiche des Ukrainischen Weltkongresses sind der Sieg, der Wiederaufbau der Ukraine und eine starke ukrainische Welt. Sie alle sind komplementär, aber wir arbeiten an jedem von ihnen auf unterschiedliche Art und Weise. Die erste Priorität ist, nicht nur den ukrainischen Streitkräften zu helfen, sondern auch eine breitere militärische, politische und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine in der Welt zu erreichen. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass die Ukraine dank der internationalen Unterstützung in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. Deshalb danken wir den mehr als fünfzig Ländern, die der Ukraine bereits militärische Hilfe leisten. Unser Ziel ist es jedoch, diesen Kreis zu erweitern. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass das Engagement anderer Länder für die Ukraine nur von Dauer sein wird, wenn diese Haltung auch die Haltung der Zivilgesellschaft im eigenen Land ist. Es ist daher Aufgabe der ukrainischen Weltgemeinschaft, dafür zu sorgen, dass diese Haltung von der Zivilgesellschaft und der Politik unterstützt wird. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Partner nicht aufgeben, sondern uns weiter unterstützen und ihre Hilfeleistungen erhöhen.

Was glauben Sie, wie sich die Unterstützung der Welt für die Ukraine während des Krieges verändert hat?

Ich bin überzeugt, dass die Unterstützung für die Ukraine in dieser Zeit gewachsen ist. Vor allem in Südamerika und Afrika hat es allein in den letzten sechs Monaten einige positive Entwicklungen gegeben. Der UWC will in dieser Richtung noch aktiver werden. Auf dem letzten Kongress sind zehn Vizepräsidenten gewählt worden, die für alle Regionen der Welt zuständig sind, wobei der Schwerpunkt auf Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten liegt. Insgesamt ist unsere Organisation nun in mehr als 65 Ländern mit eigenen Sektionen vertreten. Wir sind entschlossen, die Ärmel hochzukrempeln und darauf hinzuarbeiten, dass die Ukraine der EU und der NATO beitritt, und ihr die notwendige militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung zukommen zu lassen.

DAS ENGAGEMENT FÜR DIE UKRAINE IN SÜDAMERIKA WIRD VERSTÄRKT

In letzter Zeit hat das ukrainische Außenministerium auch versucht, die Ukraine im globalen Süden stärker zu unterstützen. Ist das eine Priorität des UWC?

Ja, vor allem in Südamerika, denn dort gibt es eine große ukrainische Gemeinschaft. Allein in Brasilien gibt es mehr als dreihunderttausend Menschen aus der Ukraine. Aber auch in Argentinien, in Paraguay und sogar in Venezuela gibt es unsere Landsleute. Der Einfluss der Ukrainer und Ukrainerinnen in diesen Ländern wächst. Sie beginnen, sich ihrer Rolle und Verantwortung bei der Förderung der ukrainischen Interessen bewusst zu werden. Es gab bereits positive Entwicklungen mit den Präsidenten Brasiliens und Argentiniens, und der neugewählte Präsident Paraguays ist proukrainisch, ebenso die Führer einiger zentralamerikanischer Länder. Die Mitglieder der Organisation und ihre Gemeinschaften arbeiten aktiv mit der Zivilgesellschaft im weitesten Sinne in diesen Ländern zusammen. Wir reden sogar von der akademischen Welt, die sich der russischen Bedrohung bewusst ist und aktiv darüber spricht. Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Führer unserer Gemeinschaften in Südamerika weiterhin sowohl politisch als auch kulturell diplomatisch aktiv sind, denn das trägt bereits Früchte. Wir arbeiten auch eng mit dem ukrainischen Außenministerium und den Botschaften zur Koordinierung unserer Aktivitäten zusammen.

Wie präsentiert sich die ukrainische Gemeinschaft in Südamerika?

Die Menschen sind sich sehr bewusst, dass sie Ukrainer und Ukrainerinnen sind, und sie sind stolz darauf; sie haben eine hohe Wertschätzung für die ukrainische Kultur. Aufgrund der geografischen Entfernung sind sie nicht oft in der Ukraine, und die meisten von ihnen waren noch nie in der Ukraine, aber dennoch haben sie ein Verständnis dafür, dass dies ihre Heimat ist. Es ist jedoch erwähnenswert, dass die führenden Vertreter unserer Gemeinschaft in Brasilien, Argentinien und Paraguay in die Ukraine reisen, um sich mit den Behörden zu treffen, und dann in ihre Länder zurückkehren, um im Detail zu erklären, warum die Unterstützung der Ukraine notwendig ist. Diese Art der öffentlichen Diplomatie ist wichtig. Denn zwischenmenschliche Beziehungen haben einen großen Einfluss auf die Einstellung der Menschen.

JEDER UKRAINER SOLLTE AN EINEM POSITIVEN BILD DER UKRAINE ARBEITEN

Um den Sieg so schnell wie möglich zu erringen, braucht die Ukraine dringend mehr Waffen. Wie vertritt der UWC die Interessen der Ukraine weltweit, insbesondere im Hinblick auf militärische Unterstützung?

Wir führen mehrere Lobbykampagnen in Europa und Nordamerika durch. Ziel ist es, Länder zu ermutigen, ihre Militärhilfe für die Ukraine zu erhöhen. Um dies effektiver zu tun, haben wir einen Strategiebeirat eingerichtet, dem ehemalige hochrangige Generäle der drei NATO-Staaten angehören. In Zusammenarbeit mit ihnen haben wir den Druck auf die Regierungen im Hinblick auf eine Erhöhung der Militärhilfe aufrechterhalten. In Absprache mit den ukrainischen Sicherheitskräften, die uns ihre Bedürfnisse mitteilen, erleichtern wir die ständige Kommunikation mit den Verteidigungsministerien der verbündeten Länder.

Spüren Sie eine gewisse Müdigkeit in der Welt, wenn es um die Ukraine geht?

Es gibt eine gewisse Müdigkeit, aber sie führt nicht zu einer Abkehr unserer Partnerländer und auch nicht zu einer Verweigerung unserer Unterstützung. Unsere Verbündeten sind sich über die Dringlichkeit weiterer Hilfe für die Ukraine voll im Klaren. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Krieg der Hamas gegen Israel haben die Spaltung der modernen Welt in demokratische Staaten und autoritäre Terrorstaaten deutlich gemacht, und die Ukraine ist ein fester Bestandteil des ersten Clubs. Aus diesem Grund wird man uns immer unterstützen, aber die Ukrainerinnen und Ukrainer in der ganzen Welt sollten sich darüber im Klaren sein, dass es die Pflicht eines jeden ist, hart zu arbeiten, damit die Welt nicht müde wird. Wir müssen ein positives Bild der Ukraine vermitteln, egal wo wir leben.

Unterstützt der UWC als Organisation direkt die militärischen Einheiten der Ukraine?

Der UWC hat ein sehr wichtiges Projekt namens „Unite with Ukraine“. Im Rahmen dieses Projekts haben wir gemeinsam mit unseren Partnern mehr als 95 Millionen Dollar zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte gesammelt. Dieses Projekt wurde mit dem Kauf von kugelsicheren Westen, Helmen, Wärmebildkameras, militärischen Erste-Hilfe-Kästen usw. zu Beginn des Krieges ins Leben gerufen. Heute sind wir an dem Punkt, an dem die Anschaffung von Hochleistungsdrohnen und gepanzerten Fahrzeugen möglich ist. Erst im September, als ich in der Ukraine war, haben wir 50 gepanzerte Kettenfahrzeuge und 70 Radfahrzeuge an die Territorialverteidigung der Ukraine übergeben, die bereits an der Front eingesetzt werden.

WIR MÜSSEN ÜBERALL AUF DER WELT UKRAINER UND UKRAINERINNEN BLEIBEN!

Was sind die Veränderungen in unserer Weltgemeinschaft im Laufe des Krieges?

Das Wichtigste ist die Entwicklung eines starken Bewusstseins für ein gemeinsames Ziel: Die Ukraine ist in Gefahr, und wir, die ukrainische Weltgemeinschaft, müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um die Unabhängigkeit des Landes zu schützen. Das hat die Diaspora auf der ganzen Welt geeint. Eigentlich gab es dieses Bewusstsein schon vorher, aber der Krieg hat es sehr verstärkt. Nach dem Beginn der vollumfassenden Invasion haben wir uns als eine globale Nation zusammengeschlossen. Früher hat man gedacht, es gäbe verschiedene Ukrainer und Ukrainerinnen: in der Ukraine und im Ausland, aber jetzt hat jeder verstanden, dass wir eine Nation sind. Aber dieses Gefühl, wer wir sind, muss noch gestärkt werden. Egal, wo wir leben —Canberra, Ottawa, Warschau, Washington, Buenos Aires oder Berlin — uns eint die Ukraine und die ukrainische Nation, uns eint, dass wir unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Geschichte und unsere Traditionen bewahren. Das ist es, was uns das Gefühl gibt, Ukrainerinnen und Ukrainer zu sein. Ihre Identität zu bewahren und sich nicht zu assimilieren, ist die Pflicht der ukrainischen Gemeinschaft in der Welt. Natürlich müssen wir uns an andere Gesellschaften anpassen und uns in sie integrieren, aber wir müssen dabei immer Ukrainerinnen und Ukrainer bleiben.

Wie können wir das in der heutigen vernetzten Welt erreichen?

Dabei hilft uns vor allem unsere wunderbare Kultur. Ich bin stolz auf meine ukrainische Herkunft und weiß, dass ich nicht der Einzige bin. In Brasilien gibt es ukrainische Einwanderer in der fünften Generation, die immer noch ihre Traditionen und ihre Liebe zum Ukrainischen pflegen. Auch in Kanada gibt es Ukrainer und Ukrainerinnen der fünften Generation, die ihre Sprache verloren haben. Aber sie können tanzen, Ostereier bemalen und Wyschywanka (bestickte Hemden) tragen. Auch sie sind stolz darauf, Ukrainerinnen und Ukrainer zu sein. Abgesehen von dieser kulturellen Komponente eint uns jetzt ein großes Ziel: die Ukraine zu verteidigen. Der russische Feind wird uns so schnell nicht verlassen, und auf diese Aufgabe müssen wir uns über viele Generationen hinweg vorbereiten. Er wird seine bösartigen Versuche fortsetzen, so wie er vor 90 Jahren während des Holodomor oder vor 300 Jahren während der Pogrome versucht hat, uns zu vernichten. Im Vergleich zu den vergangenen Jahrhunderten ist die moderne Welt jedoch anders. Heute haben wir unseren eigenen unabhängigen Staat, eine starke Armee, eine starke Diaspora in der ganzen Welt und Freunde, auf die wir uns verlassen können. Vor diesem Hintergrund bin ich zuversichtlich, dass wir siegen werden, aber das ist eine Frage der Arbeit von uns allen. Um die Ukraine weiterhin zu unterstützen und zu stärken, müssen unsere Kinder und Enkelkinder glühende Patrioten der Ukraine sein.

Was würden Sie einem ukrainischen Durchschnittsbürger raten, der im Ausland lebt und der Ukraine helfen will?

Beginnen Sie mit der Erziehung Ihrer Kinder. Überlegen Sie, ob Ihre Kinder verstehen, was in der Ukraine passiert, ob Sie sie zu bewussten Ukrainern und Ukrainerinnen erziehen, die ukrainische Freunde haben, ob sie informiert sind, um der Propaganda zu widerstehen? Das heißt, jeder muss zunächst seine Familie versorgen, seine Kinder in ukrainischen Schulen, Jugendorganisationen und Camps anmelden und in die ukrainische Umgebung eintauchen. Sie müssen solche Einrichtungen schaffen, wenn sie in Ihrer Nähe fehlen. Wenn Sie zum Beispiel einen Kindergarten benötigen, dann organisieren Sie sich mit anderen Ukrainern und Ukrainerinnen und gründen Sie einen, bilden Sie Gemeinden. Gemeinsam sind wir stark, das ist mein erster Rat. Wir sollten auch nicht vergessen, dass wir durch organisierte Gemeinschaften die Staatsführung erreichen und Einfluss auf politische Prozesse und die Medien nehmen können. Der UWC gibt ständig verschiedene Informationsmaterialien heraus und ermutigt ihre Mitgliedsorganisationen, diese zu nutzen, um die Politiker zu überzeugen, mehr zu tun: Anerkennung des Holodomor als Völkermord, mehr Militärhilfe, mehr wirtschaftliche Unterstützung, neue Sanktionen usw.

DIE DIASPORA WIRD DIE MENSCHLICHEN RESSOURCEN FÜR DEN WIEDERAUFBAU DER UKRAINE ZUR VERFÜGUNG STELLEN

Wie können die im Ausland lebenden Ukrainer und Ukrainerinnen dazu beitragen, die Ukraine nach dem Krieg wiederaufzubauen?

Zweifellos muss sich die ukrainische Gemeinschaft in aller Welt Gedanken über den Wiederaufbau machen und sich darauf vorbereiten. Der Wiederaufbau hat bereits begonnen und erfordert umfangreiche Unterstützung. Daher sollte man sich auf jeden Fall engagieren, wenn man den Wunsch und die Fähigkeit dazu hat. Der UWC unterstützt eine Vielzahl von Projekten und ermutigt andere zum Mitmachen. Eines unserer wichtigsten Projekte ist „Energize Ukraine“, bei dem wir Ausrüstung von Energieunternehmen erhalten und spenden, um zu helfen, das ukrainische Energiesystem wiederaufzubauen. Die Finanzierung des Aufbaus von Mikronetzen in der Ukraine ist die zweite Komponente dieses Projekts. Ein Beispiel, wo dieses Projekt bereits umgesetzt wird, ist eine Schule in Tschernihiw. Die Bildungseinrichtung wird durch die Installation von Solarzellen, Batterien, einem Generator und anderen notwendigen Geräten, die alle zu einem einzigen System verbunden sind, wesentlich energieeffizienter. Auf diese Weise wird die Schule auch dann geheizt und mit Strom versorgt, wenn die zentrale Stromversorgung ausfällt. Projekte wie diese sind heute nötig. Sie warten nicht, bis der Krieg vorbei ist. Wenn nach dem Sieg der große Wiederaufbau beginnt, wird ein enormer Bedarf an Humanressourcen erforderlich sein, für den die gesamte ukrainische Gemeinschaft verantwortlich sein wird.

Bei seinem Besuch in Kanada im September traf Präsident Selenskyj mit kanadischen Geschäftsleuten zusammen, um über den bevorstehenden Wiederaufbau zu sprechen. Haben Sie das Gefühl, dass das Interesse kanadischer Unternehmen an der Ukraine wächst?

Es ist wichtig zu verstehen: Die besten Partner beim Wiederaufbau der Ukraine sind die kleinen und mittleren Unternehmen. In den Industrieländern sind es die kleinen und mittleren Unternehmen, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden. Sie schaffen die meisten Arbeitsplätze. Sie sind flexibel und innovativ, und ich bin der Meinung, dass sie der Motor für die Erholung der ukrainischen Wirtschaft sein werden. Alle großen Unternehmen, Pensionsfonds und so weiter haben große Einschränkungen und angesichts der Sicherheitslage in der Ukraine werden sie dort kaum investieren können. Gleichzeitig drängen wir unsere Partnerländer zur Einführung von Programmen zur Absicherung gegen die Risiken eines Krieges. Wenn das Land von Raketen getroffen wird und die Gefahr besteht, dass die Investition innerhalb weniger Minuten zerstört wird, wird kein Unternehmen in der Ukraine investieren. Wenn Investoren aber wissen, dass eine solvente ausländische Regierung bereit ist, eine Versicherung anzubieten, werden sie bereit sein, Risiken einzugehen. Unter dieser Voraussetzung besteht Interesse. Unsere Mitgliedsorganisationen — vor allem Handelskammern — organisieren gemeinsam mit der ukrainischen Regierung, Unternehmen und Verbänden regelmäßig Wiederaufbaukonferenzen in aller Welt.

OHNE EIN VEREINTES UKRAINISCHES VOLK IN DER WELT KÖNNEN WIR DIE UKRAINE VERLIEREN

Wie würden Sie die derzeitige Interaktion und Kommunikation zwischen den UWC und ukrainischen Behörden beschreiben?

Um ehrlich zu sein, es ist sehr gut, wir sind in einem ständigen Dialog. Wir arbeiten sowohl mit dem Büro des Präsidenten als auch mit dem Parlament und mit den meisten Ministerien zusammen. Eigentlich kann ich die Ministerien, mit denen wir nicht kooperieren, an einer Hand abzählen. Wir haben also eine gute Kommunikation mit allen Zweigen der Regierung, aber wir haben nicht genug Leute für die Bearbeitung aller Projekte. Deshalb rufen wir Freiwillige aus der ganzen Welt auf, Ukrainer und Ukrainerinnen oder Freunde der Ukraine, sich uns anzuschließen. Denn es gibt viel zu tun, und wir werden als Brücke wahrgenommen, die Unterstützung und Erfahrung aus dem Ausland bringen kann.

Wie effektiv ist die russische Propaganda in der Welt?

Die russische Propaganda wird in zwei Kategorien eingeteilt: plumpe und subtile. Im ersten Fall wird der Unsinn verbreitet, dass die Ukraine von einem Nazi-Regime regiert werde, das sofort abgelöst werden müsse und so weiter und so fort. Dies ist jedoch in einer demokratischen und zivilisierten Welt nicht akzeptabel. Die Hauptabnehmer für diese Art von plumper Propaganda sind die autoritären Regime und die russische Öffentlichkeit im eigenen Land. Subtile Desinformation, die unter anderem versucht, Feindseligkeit zwischen Flüchtlingen und den Bürgern und Bürgerinnen ihrer Aufnahmeländer zu schüren, stellt eine größere Gefahr dar. In den letzten drei Monaten war ich in 11 europäischen Ländern zu Besuch und habe diese Erzählung vielerorts bemerkt. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Politiker in allen Ländern sich dieser Propaganda bewusst sind und sie bekämpfen. Künstliche politische Projekte, die versuchen, historische Themen durch die Symbolik nichtexistierender staatlicher Einheiten zu instrumentalisieren, sind ebenfalls gefährlich. Diese Versuche sind allerdings nicht neu. Die Russen versuchen seit Jahrzehnten, ethnischen Hass zu säen. Vor diesem Hintergrund muss die ukrainische Gemeinschaft in der ganzen Welt immer wieder die Wahrheit sagen und die Öffentlichkeit über die aktuelle Situation informieren.

Sie glauben, dass die ukrainische Gemeinschaft und die internationale Rolle der Ukraine während des Krieges gestärkt worden sind. Wenn die Ereignisse in der Ukraine nicht mehr auf allen Bildschirmen zu sehen sind, wie kann dieser Einfluss nach dem Sieg aufrechterhalten werden?

Die weltweite ukrainische Gemeinschaft ist in der Tat stärker geworden. Nach dem Sieg wird sie noch stärker sein, weil sie besser organisiert, zahlreicher und bewusster sein wird. Aber um dies zu erreichen, ist es äußerst wichtig, dass wir nach dem Sieg unsere Einheit nicht verlieren und dass wir die Arbeit der Koordinierung, die wir begonnen haben, nicht einschränken. Wir müssen uns bewusst sein, dass Russland uns über die Jahrhunderte immer wieder angegriffen hat und leicht wieder angreifen wird. Die Ukraine wird also wieder in Gefahr sein, wenn wir ohne internationale Unterstützung bleiben. Ich hoffe, dass uns dies zu der Erkenntnis führt, dass wir die Ukraine für immer verlieren könnten, wenn wir nicht auf der ganzen Welt für ein geeintes ukrainisches Volk eintreten. Wir müssen an die Spitze der Gesellschaft aufsteigen. Sei es in der Regierung, in der Medizin, in der Wissenschaft, in der Bildung, in der Wirtschaft, in der Kultur — überall. Die Ukraine braucht uns. Wir müssen die einflussreichsten Menschen sein. Das müssen wir auch unsere Kinder lehren: Überall, wo Ukrainer und Ukrainerinnen leben, müssen sie vorangehen und alles tun, um eine neue Ukraine aufzubauen.

Abschließend möchte ich noch eine Frage in Bezug auf den 90. Jahrestag des Holodomors, des Völkermords, stellen. Was ist seitens des UWC zu diesem traurigen Datum geplant?

Wir müssen unsere Geschichte kennen, ohne sie können wir die Bewegungsrichtung nicht verstehen. Aus diesem Grund arbeiten wir seit vielen Jahren mit verschiedenen Ländern zusammen, um deren Anerkennung des Holodomors als Völkermord zu erreichen. Wir stehen in ständigem Kontakt mit den Politikern und stellen ihnen Informationen zur Verfügung, was nach und nach zu Ergebnissen führt. Damit das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät, hat der UWC das Projekt „Holodomor Descendants Network“ ins Leben gerufen. Wir erinnern die Nachkommen der Holodomoropfer daran, ihre Familiengeschichten zu erzählen, damit sie nicht verloren gehen. In diesem Zusammenhang beteiligt sich der UWC an der Gründung des Holodomor Museums in Kyjiw, da wir die Bedeutung einer wissenschaftlichen Einrichtung anerkennen, die sich der Aufgabe widmet, die Welt über den Holodomor aufzuklären. Im Allgemeinen widmet der UWC der Förderung des Holodomors große Aufmerksamkeit, da das Verständnis dieser Tragödie der internationalen Gemeinschaft hilft, die Gründe für Russlands erneuten Versuch der Vernichtung des ukrainischen Volkes zu verstehen.

Maksym Nalywajko, Toronto

Fotos: UWC-Pressestelle

Bei dem Zitieren und der Verwendung aller Inhalte im Internet sind für die Suchsysteme offene Links nicht tiefer als der erste Absatz auf „ukrinform.de“ obligatorisch, außerdem ist das Zitieren von übersetzten Texten aus ausländischen Medien nur mit dem Link auf die Webseite „ukrinform.de“ und auf die Webseite des ausländisches Mediums zulässig. Texte mit dem Vermerk „Werbung“ oder mit einem Disclaimer: „Das Material wird gemäß Teil 3 Artikel 9 des Gesetzes der Ukraine „Über Werbung“ Nr. 270/96-WR vom 3. Juli 1996 und dem Gesetz der Ukraine „Über Medien“ Nr. 2849-IX vom 31. März 2023 und auf der Grundlage des Vertrags/der Rechnung veröffentlicht.

© 2015-2024 Ukrinform. Alle Rechte sind geschützt.

Design der Webseite — Studio «Laconica»

erweiterte SucheWeitere Suchkriterien ausblenden
Period:
-