Wie und warum Kursk-Operation ukrainischer Streitkräfte den Feind zwang, Ziele sogenannter „Spezialoperation“ zu ändern

Wie und warum Kursk-Operation ukrainischer Streitkräfte den Feind zwang, Ziele sogenannter „Spezialoperation“ zu ändern

Ukrinform Nachrichten
Am 6. September war genau ein Monat, als ukrainische Truppen auf das Territorium der Russischen Föderation einmarschierten. Finden wir es heraus, welche konkreten Ziele die Ukraine in dieser Zeit bereits erreicht hat

Zwischenergebnisse: Innerhalb eines Monats rückten die Streitkräfte der Ukraine 35 km tief in das Territorium der Russischen Föderation vor, nahmen über 1.300 Quadratkilometer und 100 Siedlungen unter Kontrolle und füllten den Austauschfonds mit mehr als 600 russischen Gefangenen auf. Und das ist bereits ein fantastisches Ergebnis. Das Entscheidende ist jedoch, dass all dies den Feind dazu zwang, erhebliche Kräfte und Ressourcen zur Verstärkung der Region Kursk zu verlegen. Das ist das Erste. Man hätte gerne mehr. Aber alles hat seine Zeit.

„Sie haben zum heutigen Stand etwa 60.000 Soldaten dort zusammengezogen“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview mit NBC News. Und später tauchten Informationen auf, dass es in diesem Truppenkontingent auch Einheiten gibt, die (trotz aller vorherigen Dementis dieser Tatsache!) aus der Richtung Pokrowsk verlegt wurden.

Zweitens, und das ist vielleicht das Wichtigste, hat sich im russischen Informationsraum der Diskurs plötzlich geändert. Wenn der Kreml und seine zahmen Propagandisten in den ersten Wochen die Offensive der ukrainischen Streitkräfte in der Region Kursk fast „nicht bemerkt“ und so getan haben, als ob dort überhaupt nichts oder etwas Unbedeutendes passiert, aber jetzt … sprechen sie über die Region Kursk nicht nur öfter, sondern auch überhaupt wie über die „entscheidende Operation der Spezialoperation“.

Der erste, der dies zur Sprache brachte, war der Kommandeur der Kadyrow-Einheit „Achmat“ Alaudinow in einem Interview mit der Agentur Tass (wir zitieren in der Originalsprache): „Die aktuellen Ereignisse in der Region Kursk sind der entscheidende Kampf der Spezialoperation, der seine Geschichte vervollständigen wird.“

Und dann eigentlich Putin selbst beim Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok: „Die heilige Pflicht der Streitkräfte ist es, alles zu tun, um den Feind aus diesen Territorien (der Region Kursk - Red.) zu vertreiben und unsere Bürger zuverlässig zu schützen.“

Es ist also so, dass Putin zugegeben hat, dass die Ukraine ihn gezwungen hat, die Ziele der „Spezialoperation“ zu ändern? Und nun steht das russische Militär statt „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“, statt „Donbass um jeden Preis“ vor der Aufgabe, sein Territorium vom Feind zu befreien? Nun, dies wird eine Antwort für diejenigen, die immer noch mit einer gewissen Skepsis über die Frage nachdenken: „War die ukrainische „Unverschämtheit“ in der Region Kursk das wert, was derzeit in der Region Donezk geschieht, oder wäre es vielleicht besser, Truppen zur Verstärkung jener Einheiten zu verlegen, die bei Pokrowsk stehen?

Drittens. Zuerst startete der Feind eine verzweifelte Informations- und psychologische Offensive rund um die Kursk-Operation der Streitkräfte der Ukraine. In den sozialen Netzwerken standen die Ukrainer unter einer Lawine von „Experten- und Volkszweifeln“, die offensichtlich von Moskauer Bot-Farmen „gesät“ wurden.

Viertens veränderte die Kursk-Operation die moralisch-psychologische Atmosphäre rund um den Großkrieg des ukrainischen Volkes gegen den russischen Faschismus grundlegend. Nach der misslungenen Gegenoffensive im Sommer 2023 und fast einem Jahr zermürbender Abwehrkämpfe mit einem zahlenmäßig überlegenen Feind haben die ukrainischen Streitkräfte gezeigt, dass sie effektiv angreifen können. Dies war wie auf einem Sprungbrett, der den Geist in der Ukraine gehoben hatte, und was nicht weniger wichtig ist, das hat die Haltung unserer Partner in Bezug auf unseren Widerstand gegen das Imperium geändert. Die ukrainische Offensive in der Region Kursk hat einmal wieder überzeugend bewiesen, dass jeder der Vater des Sieges sein will, die Niederlage ist eine Waise.

Und der Präsident hat also unter den Diskussionen über das unvollständige Verstehen des Ziels der Kursk-Operation einen Strich gezogen und erklärt, dass sie Teil der Strategie für den Sieg im Großkrieg sei und die Streitkräfte der Ukraine so lange auf feindlichem Territorium bleiben würden wie es notwendig ist, um es zu erreichen.

… Und jetzt wieder zu Pokrowsk. Seit Anfang September gibt es Informationen darüber, dass der Offensivimpuls des durch monatelange Kämpfe erschöpften Feindes in dieser Richtung nachlässt. Und am Abend des 5. September erklärte der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine, General Syrskyj, direkt, dass der Feind „innerhalb von 6 Tagen keinen einzigen Meter in Richtung Pokrowsk vorgerückt ist“. Dies ist also wieder eine Antwort an diejenigen, die hartnäckig nicht glaubten: Hat die Offensive in der Region Kursk nicht dazu beigetragen?

Aber wie, darüber werden wir später sprechen, und zuerst ausführlicher: Was hat die Ukraine durch das Vorrücken auf dem Territorium der Russischen Föderation bereits erreicht?

Acht Erfolge der Ukraine in Kursk

Der Politologe und Vorstandsvorsitzende des Zentrums für angewandte politische Studien „Penta“ Wolodymyr Fesenko sagte in einem Kommentar für Ukrinform, dass die Ukraine nach einem Monat der erfolgreichen militärischen Operation in der Oblast Kurs mindestens fünf Erfolge erzielte.

Erstens gab es teilweise Änderungen des Charakters der Kriegshandlungen.

„Zum ersten Mal seit dem Herbst des vergangenen Jahres gingen die ukrainischen Truppen zu den aktiven und erfolgreichen Offensivaktionen über. Russland verlor die eindeutige und ausschließliche Dominanz auf dem Schlachtfeld, obwohl es seine Offensive in der Region Donezk (in der Ostukraine – Red.) fortsetzt. Sowohl für die internationale Gemeinschaft als auch für die Ukrainer wurde deutlich, dass die Streitkräfte der Ukraine ihre offensiven Fähigkeiten, auch auf feindlichem Gebiet, nicht verloren“, so Fesenko.

Zweitens wurden die Kriegshandlungen erstmals und für lange Zeit nach Russland verlagert, was eine völlige Überraschung sowohl für die russische Staatsführung und die russische Bevölkerung als auch für die internationale Gemeinschaft war.

„Partner der Ukraine im Ausland erkannten zum ersten Mal das Recht der Ukraine an, sich auf diese Art und Weise zu verteidigen, durch Kampfhandlungen auf feindlichem Gebiet“, fügte er hinzu.

Drittens zwang diese Operation die Russen zumindest teilweise, einige Reserveeinheiten und einige Kampfeinheiten aus dem Kampfgebiet in der Ukraine abzuziehen.  

„Es wurde auch offensichtlich, dass Russland derzeit über keinen großen und freien militärischen Reserven verfügt. Und das, was es hat, wird vor allem im Raum Pokrowsk in der Region Donezk eingesetzt“, meint der Experte.

Viertens zerstörte diese Operation den Mythos über eine „rote Linie“ an der Grenze zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine, deren Überschreitung äußerst negative Folgen für die Ukraine und den Westen haben kann, insbesondere den Einsatz von Atomwaffen durch Russland gegen die Ukraine oder eine große Eskalation des bestehenden Krieges.

Fünftens gibt es einen gewissen Einfluss auf die russische Gesellschaft. Wieder einmal wurde der Mythos von der Unbesiegbarkeit Putins und der russischen Armee zerstört, dem man in Russland in den letzten anderthalb Jahren erneut Glauben schenkten.  

„Ganz im Gegenteil, es wurden erneut Schwächen von Putin, der russischen Staatsführung und der russischen Kriegsmaschine deutlich. Grundlegende Verschiebungen in der Stimmung der Bevölkerung gibt es noch nicht, bestimmte Risse in der Haltung der Russen gegenüber ihrer Regierung, dem Krieg gegen die Ukraine und seinem Ende sind wieder aufgetreten. Im Moment sind das noch passive Stimmungen, aber wer weiß, was passieren wird? Die Hauptsache ist es, dass die Ukraine ein zusätzliches und bedeutendes Instrument für den militärischen und politischen Druck auf Russland erhielt“, betonte Fesenko.

Natalia Belitser, eine Expertin von Pylyp Orlyk Institute for Democracy nannte weitere Erfolge der Armee in Kursk

Sechstens brachte die Operation in Kursk den Informationsraum in Schwung und steigerte das weltweite Interesse am Verlauf des russisch-ukrainischen Krieges deutlich

„Sogar die führenden amerikanischen Medien, die sich stark mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen befassen, meiden keine Nachrichten, Analysen und verschiedene Überlegungen zur Situation an der „Kursker Front“. Es geht aber nicht nur um die USA. In diesem Zusammenhang kann man einen Facebook-Beitrag des Vorsitzenden der Medschlis des krimtatarischen Volkes Refat Tschubarow erwähnen, der die Fernsehsendungen in der Türkei geschaut hat und die ihm zufolge voll mit solchen Schlagzeilen wie „Ukraine überrascht Russland mit neuen Angriffen“, „Der Wind weht jetzt aus der Ukraine“ „Russland kann die Ukraine nicht stoppen“ sind“, sagte Frau Belitsa.

Siebtes zeigten die Ereignisse in Kursk alle Schwächen der russischen Behörden und seiner militärisch-politischen Führung

„Im russischen Informationsraum herrscht trotz einer harten Kontrolle „von oben“ völliges Chaos. Es reicht aus, zu beobachten, wie sich die Rhetorik der Propagandisten geändert hat und zwar von „Kiew in drei Tagen“ bis zur „Notwendigkeit, einen besseren Schutz der russischen Grenze von ukrainischen Angriffen zu gewährleisten“, betonte die Expertin.

Achtens ist eine beeindruckende Zahl von Kriegsgefangen ein wichtiger Erfolg der Operation on Kursk. Darunter sind diejenigen, die einen höheren Wert für Russland haben, wie Wehrdienstleistende (besonders wenn ihre Mütter und andere Angehörige zu einem stärkeren Protest bereit sind), Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB und „Kadyrowzy“.

„Das alles zwang Russland zum ersten Mal (!) seit Beginn des umfassenden Krieges, eine Frage über einen Austausch von Gefangen aus eigener Initiative aufzuwerfen. Dieser Prozess, obwohl die militärisch-politische Führung der Ukraine den Austausch „alle gegen alle“ für unrealistisch hält, dürfte sich zweifellos einen positiven Einfluss auf weitere Freilassungen von Hunderten Opfern dieses Krieges haben, insbesondere von „Asow-Soldaten“, die Russland schon lange nicht austauschen will “, sagt Natalia Belitser.

KURSK BEFREIEN - DAS NEUE ZIEL DER „SWO“: WARUM HAT DER KREML SEINE RHETORIK DRASTISCH GEÄNDERT?

Oleksander Mussijenko, Leiter des Zentrums für militärrechtliche Studien bemerkte auch wie wir eine Veränderung des Diskurses im russischen Informationsraum.

"In Russland beginnt man mehr über Kursk zu sprechen. Derselbe Alaudinow, der insbesondere für die Verteidigung der Kursk-Richtung verantwortlich ist, sagt in einem Interview mit der TASS-Agentur, dass die Situation schwierig sei, dass die Ukraine die besten Einheiten dorthin entsendet habe. Und ferner sagt er, dass in der sogenannten SWO (spezielle Militäroperation – Red.) die Kursk-Operation entscheidend sein werde, sagt Herr Mussijenko. Stop! Was ist mit Pokrowsk? Warum ändern sich die Akzente? Warum wird dort öfter an Kursk erinnert? Warum hat Peskow plötzlich gesagt, dass die Ukraine bestimmt mit Langstreckenraketen angreifen werde, dass die USA das Recht einräumen werden, mit ihren Waffen russisches Territorium beschießen? Und weil, wie wir sehen, nicht alles den Russen in der Nähe von Pokrowsk gelungen ist. Denn das ukrainische Kommando versteht die operativen Absichten und Pläne des Gegners sehr gut und ergreift eine Reihe von Maßnahmen, unter anderem durch die Verstärkung dieser Richtung“.

Nun sind die Pläne des Gegners in Richtung Pokrowsk laut dem Experten in Flankenangriffen: "Die Russen werden Pokrowsk nicht frontal angreifen. Sie werden versuchen, im Süden durch Selidowe anzugreifen, wo aktive Kämpfe fortgesetzt werden. Hier ist ein Hotspot, durch den sie versuchen werden, sich Richtung Kurachowe zu bewegen. Und von dort aus nach Pokrowsk zu marschieren. Im Norden ist die Situation ähnlich. Zuerst wird der Feind versuchen, nach Myrnohrad vorzurücken, die Logistik von Pokrowsk zu unterbrechen und von Norden her zu umgehen. Dies ist eine "Zangentaktik", die Russland wiederholt während der groß angelegten Invasion eingesetzt hat", sagt er. „Aber ob der Feind diese Taktik umsetzt, ist eine große Frage. Das ukrainische Militär hält sie auf. Und im Allgemeinen versteht das Militärkommando, wie man den russischen Vormarsch stoppt und dem Feind schwere Verluste zufügt, um ihn zu erschöpfen. Mit der sogenannten „schnellen Offensive“ haben die Russen nicht alles erreicht. Sie beginnen bereits bezüglich einiger Parameter, einen Mangel an Kraft zu spüren, aber sie greifen weiter an".

Herr Mussijenko macht darauf aufmerksam, dass einige ausländische Publikationen, zum Beispiel „Forbes“, vor einigen Tagen geschrieben haben, dass die Russen Pokrowsk eingenommen hätten, als ob es eine vollendete Tatsache wäre. Und jetzt...

„Nachdem sie die “frischen„ Daten des bekannten OSINT-Analysten Andrew Perpetua gesehen hatten, änderte sich ihre Meinung: Bei solchen Rekordverlusten an Ausrüstung, Soldaten usw. wird die Russische Föderation Pokrowsk nicht erobern“, sagt der Militärexperte.

„Und es fällt auf, dass Russland nun zu einer anderen Aufgabe übergeht - die Umzingelung der Stadt. Aber auch diese Aufgabe erfordert erhebliche Ressourcen. Hat der Feind diese Ressourcen, der ständig Verluste erleidet?.. Deshalb ist Alaudinow jetzt dran, der in einem Interview mit TASS bereits eine Ersatzoption vorbereitet: Pokrowsk ist Nebensache, aber die Entscheidungsschlacht wird in der Region Kursk stattfinden".

Nehmen Sie den Wechsel des Akzents war?...

"Bezüglich der Region Kursk fühlt sich der Kreml unsicher. Und das bedeutet, dass das Kommando der Besatzer noch zusätzliche Kräfte aus anderen Richtungen dorthin verlegen kann. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Kursk-Operation funktioniert, dass sie eine Wirkung hat. Sonst würde der Kreml Alaudinow jetzt nicht einsetzen", betonte Oleksandr Mussijenko.

IN REGION KURSK HABEN WIR SEIT HERBST 2022 DEN GRÖSSTEN MILITÄRISCHEN ERFOLG ERZIELT UND WIR FESTIGEN WEITER  UND AUSBAUEN DIESEN ERFOLG

Jewhen Dykyj, militärpolitischer Analytiker, Ex-Kommandier einer Kompanie des Bataillons „Ajdar“ beschloss zunächst, an die anfängliche Disposition der Parteien vor der Kursk-Offensive zu erinnern:

Bei unseren Feinden braut sich eine hoffnungslos tiefe Krise der Ressourcen zusammen, vor allem geht es um „Eisen“, dessen einige Arten für ein Kriegsjahr und andere für ein halbes Jahr übrig geblieben sind; zweitens das „Fleisch“, das immer noch genug ist, aber eine neue Einberufung wird immer schwieriger und teurer.

Unsere tiefen Angriffe haben die Wirtschaft der Russischen Föderation noch nicht ausgeblutet, sind aber bereits zu einem gewichtigen Faktor geworden; Eine elementare Extrapolation zeigt, dass die zweite Armee der Welt in einem Jahr nicht fähig sein wird, ihr „Eisen“ zu tanken, das zu dieser Zeit noch fahren kann.

Gleichzeitig wird die Krise der Ressourcen und Reserven, die sich deutlich am Horizont unserer Feinde abzeichnet (und die ihr Kommando gut sieht), noch kommen; Inzwischen beginnt unsere Mobilisierung erst langsam, deshalb, während wir an der Front in einer dichten Verteidigung sind, rückt der Feind auf Kosten enormer Verluste im Donbass vor und hat bereits Pokrowsk ins Visier genommen.

Die ukrainische Gesellschaft ist in Depression, das russische Narrativ von der „Unbesiegbarkeit Russlands im Zermürbungskrieg“ hat sich erfolgreich in den Köpfen vieler Leute niedergelassen (entgegen den Fakten, Zahlen und Schätzungen von Experten), und alle Arten von soziologischen Büros manipulieren bereits mit „Umfragen“ um „Kompromisse“ und „akzeptable Bedingungen“ unserer Kapitulation.

Im Westen ist alles noch schlimmer: Das Axiom der „Unbesiegbarkeit“ Russlands wurde fast ohne Alternative angenommen, und in ihren Medien wurden wir bereits endgültig „begraben“ und bereits offen auf das für uns tödliche „Einfrieren“ (Krieg gegen die Ukraine einfrieren – Red.) „gebeugt“.

Unter diesen Bedingungen, sagt Herr Dykyj, nimmt der Kreml eine völlig richtige Strategie an: "Um jeden Preis die Offensive im Donbass zu beschleunigen, so viel wie möglich aus dieser Offensive zu erhalten, sie als "entscheidend" darzustellen und Zeit zu haben, uns das für uns tödliche und für die Russen lebensrettende „Einfrieren“ aufzudrängen". Zeit zu haben, bevor der Mangel an Ressourcen und Reserven der russischen Armee offensichtlich wird, und dann werden sie mit uns nicht mehr über das Einfrieren, sondern über die Kapitulation sprechen.

Die Kalkulation des Kremls könnte durchaus funktionieren. Für unsere Feinde ist dies das einzige rettende Szenario, bei allen anderen wird das Bild in einem halben Jahr für sie völlig unvorbereitet und in einem Jahr höchstwahrscheinlich katastrophal sein. In den nächsten paar Monaten mit uns fertig zu werden, ist die einzige Chance, den Krieg nicht zu verlieren. Dementsprechend wurden alle Ressourcen für die Verwirklichung dieser Chance eingesetzt, sowohl militärische als auch informationelle und politische".

Und dann marschieren wir plötzlich in die Region Kursk ein. Und Putins gesamter Plan platzt aus allen Nähten, wird praktisch auf Null gesetzt. Bezüglich des Kremls kann man jedoch nicht sagen, dass sie völlig verwirrt sind. Sie haben wie üblich eine gut durchdachte und koordinierte Informationsoperation gegen uns gestartet. Sein Schwerpunkt: Auf jede mögliche Weise das Ausmaß und die Bedeutung der Ereignisse in der Kursk-Region herabzusetzen und ebenso auf jede mögliche Weise die Rolle und die Bedeutung der Offensive auf Pokrowsk groß aufzumachen.

„Während unsere Truppen die Karte der Kontaktlinie neu umgestalten und die mythischen "roten Linien" löschen, zeichnen sie uns in unserem Kopf ein gekrümmtes Bild, in dem "irgendein Sudscha" keine Bedeutung hat, aber der Verlust von Pokrowsk ist möglich. (um es zu erobern, müssen die Feinde noch viel kämpfen und eine enorme Anzahl von Kämpfern verlieren), wird als strategischer Sieg des Feindes präsentiert, der fast den Schlusspunkt in diesem Krieg setzt und uns keine andere Wahl lässt als die Kapitulation", betont Ewhen Dykyj.

Der Experte stellt fest, dass die Situation in Pokrowsk wirklich super kompliziert sei. Die Verteidigung auf freiem Feld unter den gelenkten Fliegerbomben und mit der zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes zu halten, ist sehr problematisch und man muss sich daher (nach den neuesten Daten - Red.) zurückziehen. Bedeutet dies jedoch, dass die Besatzer bald Pokrowsk erobern? In keiner Weise.

"Wir waren und sind stärker in der Defensive in einer Stadt, wo jedes Haus und jeder Keller eine "natürliche Festigung“ ist. Der Kampf um jedes Quartal ist ganz anders als die Offensive im Feld. Sie wird den Feinden mit unvergleichlich großen Verlusten schwerfallen", betont der Experte.

„Sogar wenn man vom Schlimmsten ausgeht, dass Pokrowsk das Schicksal von Lysytschansk, Bachmut, Awdijiwka teilten wird, ist es natürlich schwierig und traurig, aber keineswegs verhängnisvoll. Verhängnisvoll wird der verlorene Krieg sein, entweder für uns oder für den Kreml. Der Krieg es ist eine schreckliche und blutige Nachahmung eines Schachspiels, bei dem man Figuren opfern muss, und dabei zählt es nur, wer am Ende schachmatt setzten wird.“

„Wenn eine schleichende Offensive der Russen im Donbass weiterhin das einzige tägliche Ereignis dieses Krieges wäre, dann hätten wir nur eine einzige Perspektive vor uns – „Einfrieren“ zu russischen Bedingungen, eine Kapitulation also, ein wenig früher oder ein wenig später. Kursk eröffnete allerdings nach der erfolgslosen Offensive 2023 die Aussicht auf unseren Sieg – nicht gleich morgen, aber auch nicht in vielen Jahren. Und wenn der Preis dafür ist, dass die Kämpfe im Wohnsektor von Pokrowsk sagen wir zwei Wochen oder sogar einen Monat früher beginnen werden, als es gewesen wäre, wenn wir alles Lebende an dienen Frontabschnitt verlegt hätten, dann ist der Preis hoch aber akzeptabler. Und dieser Preis ist unvergleichlich niedriger als der, den der Feind dafür zahlt“, behauptet des ehemalige Kompaniechef des Bataillons „Aidar“.

Er ist der Meinung, dass jeder Mensch, der uns zum Truppenabzug aus der Region Kursk aufruft, egal „mit Triumph, weil wir alles getan haben, es wird weiter nur schlimmer“, oder einfach „weil es keinen Sinnt hat“, oder „um Porkrowsk zu retten“, für den Kreml arbeitet und an einer Informationsoperation teilnimmt, die das Ziel hat, Russland die fast verlorene Hoffnung auf einen Sieg über uns zu geben.

„Unsere Reaktion sollte dementsprechend hart und sich nicht in Überlegungen über die Motivation des Agitators gebunden sein.“ Der Spruch „Zieh die Truppen ab, Selenskyj“ muss dem Spruch „Putin schick Truppen“ gleichgesetzt werden, das ist ein ähnliches Mantra, und der, der das verbreitet, arbeitet für den Kreml. Der Sieg wird nicht morgen und nicht in „zwei bis drei Wochen“ sein, doch ein Licht schimmert schon am Ende des sehr langen Tunnels. Es schimmert von Sudscha, aber auch von brennenden Treibstofflagern und sogar von verlorenen, doch mit feindlichen Leichen gefüllten Schützengräben bei Pokrowsk. Dieses Licht ist immer stärker und näher, aber Müdigkeit und Verzweiflung hindern uns daran, es zu sehen. Wenn wir es jetzt es sehen und anfangen werden, entsprechend zu handeln, werden wir die Zeit erleben, in der sogar ein Blinder es nicht übersehen könnte. Werden wir es nicht sehen, werden wir mit dem falschen Bild, das FSB-Illusionisten (der FSB ist Russlands Inlandsgeheimdienst – Red.) für uns malen, betrogen werden, kann das Licht erlöschen, weil uns die Puste schneller als dem Feind ausgehen wird. Gerade „die Puste wird schneller ausgehen“ ist eine einzige Chance Russland auf den Sieg, die letzte Chance, nach deren Verlust unser Sieg nur noch eine Frage der Zeit sein wird“, fasste Jewhen Dykyj zusammen.

Es ist schwer, unserem Experten rein emotional nicht zuzustimmen. Und die jüngsten Nachrichten, das müssen wir einräumen, machen seinen publizistischen Eifer real.

Myroslawa Liskowytsch, Kyjiw


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