Wadym Hladkow, erster stellvertretender Kommandeur der Nationalgarde
In den nächsten Jahren werden alle, sowohl wir als auch der Feind, zum aktiven Einsatz von Drohnen für alle Aufgaben übergehen
19.09.2024 22:44

Der stellvertretende Kommandeur der Nationalgarde, Wadym Hladkow, gab sein erstes Interview, in dem er über das Verhältnis von Drohnen in der ukrainischen und russischen Armee, den Kampf unserer Soldaten gegen feindliche unbemannte Luftfahrzeuge, die Entwicklung der Systeme der elektronischen Kriegsführung erzählt hat, und darüber welche Drohnen in fünf Jahren sein werden.

Herr Wadym, 2023 wurde das Jahr der Drohnen auf dem Schlachtfeld. Läuft diese Tendenz im Jahr 2024 weiter?

Einheiten der Nationalgarde erfüllen zusammen mit anderen Abteilungen der Verteidigungskräfte Aufgaben entlang der gesamten Frontlinie. Jeder kennt unsere Brigaden „Garde der Offensive“, Einheiten des Spezialeinheitszentrums OMEGA sowie andere Einheiten, die den Versuchen der Russischen Föderation, unsere Gebiete zu besetzen, seit den ersten Tagen der groß angelegten Invasion recht effektiv entgegenwirken, und insbesondere seit 2014.

Jetzt gibt es viele Veränderungen in Technologien, Training und Taktik. Der Krieg verändert sich, die Armee verändert sich, die Mittel für seine Führung verändern sich. Im Staat entwickelt sich aktiv die Richtung unbemannter Systeme, und als Teil der Streitkräfte wurden die Einheiten unbemannter Systeme gebildet. Das ist die Forderung der Zeit. Diese Struktur wird auch in der Nationalgarde ausgebaut.

Wir analysieren die Situation und verstärken weiterhin unsere Bemühungen zur Entwicklung unbemannter Systeme. Wir verstehen, wie viele und welche Qualität Drohnen haben sollten, mit welchen Frequenzen sie funktionieren und in welcher Tiefe sie einschlagen sollten. Auch die Richtung der elektronischen Kriegsführung entwickelt sich.

Einheiten, die unbemannte Luftfahrzeuge einsetzen, sind heute ein fester Bestandteil jeder Aufgabenerfüllung. Angefangen bei der Erfüllung von Aufklärungsaufgaben, Koordinierung des Feuers bis hin zum Einsatz von Drohnen zum Treffen von Personal, Ausrüstung und Stellungen des Feindes. Sie haben auch die Brigaden des operativen Einsatzes, Abteilungen unserer Spezialeinheiten, und es gibt auch separate Einheiten. Im Rahmen des Konzepts der Entwicklung unbemannter Systeme der Nationalgarde der Ukraine wurden einheitliche Ansätze für die Ausbildung von Besatzungen unbemannter Systeme bestimmt. Ich werde nicht alle Details und Pläne verraten, aber wir arbeiten insbesondere daran, diese Richtung zu stärken. Aber ich denke, der Feind wird es spüren.

Auch der Feind entwickelt sich in diese Richtung. Die Russen erhöhen die Zahl ihrer Drohnen, ändern die Steuerungskanäle und versuchen ständig, unsere Mittel der elektronischen Kriegsführung zu umgehen. Dementsprechend „passen“ wir uns auch an solche Aktionen des Feindes an und versuchen, die Mittel, die wir in unserem Arsenal haben oder einführen, effektiver einzusetzen.

Im Allgemeinen haben unsere Einheiten bis 2023 Drohnen nicht so massiv eingesetzt, weil sie teuer sind. Beispielsweise kostet jeder Mavic-3 je nach Modifikation mehr als 100.000 Hrywnja (UAH) und mehr. Vor der groß angelegten Invasion und sogar im ersten Jahr des Krieges war es ziemlich schwierig, sie zu kaufen, bis der Staat in den Prozess eingriff und bei der Entwicklung und Finanzierung dieses Blocks half, und es gab auch Änderungen in den Rechtsvorschriften, wo nun eine solche Nomenklatur festgelegt ist.

Haben die Freiwilligen geholfen?

Freiwillige können nicht viele Drohnen bereitstellen, obwohl ihre Rolle und Hilfe bedeutend sind, besonders wenn man diese zweieinhalb Jahre berücksichtigt. Der „Aufwand“ allein der Aufklärungsdrohnen pro Tag und pro Brigade kann bis zu 10 Drohnen betragen. Bei FPV-Drohnen ist ihr Verbrauch um ein Vielfaches höher, besonders wenn der Frontabschnitt aktiv ist und der Feind ständig Angriffsoperationen durchführt.

Und das ist jetzt auch zu diesem Stand genauso?

Ja, zu diesem Stand und in naher Zukunft. Die Drohne fällt auch unter Witterungseinflüssen: im Winter, zum Beispiel wegen Einfrieren am Gehäuse oder an den Propellern. Sie fällt unter dem Einfluss der elektronischen Kriegsführung des Feindes. Gleichzeitig kann sie physisch abgeschossen werden: sogar mit bestimmten Arten von Kleinwaffen, wenn sie tief fliegt, kann man sie treffen.

Als allen also klar wurde, dass ohne Drohnen nicht geht, begannen sich Abteilungen für unbemannte Systeme und die Produktion von Drohnen aktiv zu entwickeln. Auf Kosten staatlicher Programme begannen wir, eine große Anzahl von Drohnen zu erhalten, sowohl FPV- als auch Aufklärungsdrohnen. Wir verfügen über eigene Produktionskapazitäten.

Wie schätzen Sie das Verhältnis der Drohnen auf ukrainischer und russischer Seite ein?

Bezüglich der taktischen Ebene – Mavic, Matrice, FPV - haben wir wahrscheinlich die gleiche Anzahl, eine gewisse Parität. Die Russen verfügen über mehr Aufklärungsdrohnen wie ZALA und Orlan (Flugreichweite bis zu 120 km - Red.). Parität gilt jedoch nicht für Artillerie. An schwierigen Abschnitten versucht der Feind ständig, eine große Anzahl von Artillerie einzusetzen, und feuert täglich Hunderte und Tausende von Geschossen ab.

Wir brauchen also mehr Aufklärungsdrohnen?

Wir brauchen alle Drohnen, Aufklärungsdrohnen unbedingt. Jetzt gibt es keinen Bereich an der Front, in dem eine Drohne nicht hängt und das Schlachtfeld beobachtet. Zudem gibt gerade der Drohnenpilot dem Kommandoposten oder den im Schützengraben sitzenden Soldaten die Informationen weiter, dass eine Infanteriegruppe auf sie zurückt. Sie sehen den Feind nicht, die Drohne sieht ihn, und unsere Kämpfer bereiten sich bereits darauf vor, diese Angriffe abzuwehren.

Wenn die Drohne den Feind nicht gesehen hat, ist es dann schwieriger, den Angriff abzuwehren, und es wird mehr Ressourcen und Zeit in Anspruch nehmen. Die beste Variante ist, einen Angriffsversuch schon frühzeitig, in der Vorbereitungsphase oder im Anmarsch, zu erkennen. Ich denke, dass in den nächsten Jahren alle, sowohl wir als auch der Feind, zum aktiven Drohneneinsatz für alle Aufgaben übergehen werden.

Und überhaupt gibt es nie genug Waffen. Während die aktiven Kämpfe stattfinden, wird es nie genug sowohl Drohnen als auch Artillerie geben.

Aber von Zeit zu Zeit erklären Beamte, dass die Ukraine die Waffenproduktion steigert.

Ja, wir steigern. Aber auch der Feind tut das. Wir haben bereits eigene Werkstätten, in denen wir Drohnen zusammenbauen und vervollkommnen. Es gibt auch bestimmte Anlagen, in denen wir Einstellungen oder Reparaturen vornehmen, Mängel oder Fehler beseitigen, das kommt auch vor.

Was genau wird verbessert? Antennen, Steuereinheiten?

Auch. Und dann Netzteile, Steuerplatinen, Abwurfsysteme und anderes. Dadurch erhöht sich die Effektivität ihres Einsatzes und der Widerstand gegen die elektronische Kriegsführung des Feindes.

Auch. Und dann Netzteile, Steuerplatinen, Abwurfsysteme und anderes. Dadurch erhöht sich die Effektivität ihres Einsatzes und der Widerstand gegen die elektronische Kriegsführung des Feindes.

Autonome Zierkennung ist Zukunft von Drohnen

Vor kurzem gab es einen Bericht, dass die ukrainischen Streitkräfte eine neue Bomberdrohne „Schwarze Witwe“ erhalten werden. Gibt es bestimmte Typen von Drohnen, die Sie erhalten möchten?

In erster Linie sind für uns Gewichtsdaten der Drohnen, Navigationssysteme und Schutz vor Störsender interessant. Interessant ist auch, was eine Drohne nach Kontrollverlust machen würde, ob sie nach Hause zurückkehrt oder irgendwo abstürzen würde.

Bestimmte Drohnen haben wir schon, wie z.B. „Baba Jaga“ (die Drohne des Typs Vampire mit bis zu 4-х Sprengsätzen – Red.), „Heavy Shot“ (der Gefechtskopf bis 40 Kilogramm – Red.). Mal sehen, wie die „Schwarze Witwe“ eingesetzt wird. Dabei geht es immer um Preis, Effektivität, Stabilität und Verfügbarkeit. Wie sich aber jetzt unbemannte Systeme in der Ukraine entwickeln, können wir ziemlich schnell ihren Einsatz und Eigenschaften anpassen.

Ich möchte noch über Drohnen mit autonomer Zielerfassung fragen…

Derzeit arbeiten, soviel ich weiß, Fachleute daran und an „maschinellem Sehen“. Es gibt erste Ergebnisse, technische Erprobungen werden erwartet.

Welche Vorteile haben diese Systeme?

Die Vorteile dieser Technologien liegen in einer besseren Automatisierung der Steuerung und der Zielerfassung. Der Pilot kann ein Ziel in einer Entfernung von 200 bis 400 Metern (je nach technischen Daten) identifizieren und dann fliegt die Drohne autonom.

Systeme der elektronischen Kampfführung wurden früher gegen elektronische Aufklärung eingesetzt und jetzt sind auch gegen Waffensysteme im Einsatz

Was ist mit der Entwicklung der elektronischen Kampfführung?

Dieser Bereich entwickelt sich bei uns auch.  Es gibt eine Organisationsstruktur, eine Erfahrung zum Einsatz dieser Systeme direkt an der Front. Früher wurde der elektronische Kampf gegen die elektronische Aufklärung und Kommunikation des Feindes eingesetzt, jetzt müssen wir auch gegen Waffensysteme kämpfen. Es handelt sich in erster Linie um unbemannte Luftfahrzeuge verschiedener Typen.

Dabei muss klar sein, dass die elektronische Kampfführung kein Allheilmittel ist.  Sie kann getäuscht werden. Richtwirkung, Reichweite, Höhe – all diese Eigenschaften müssen berücksichtigt werden. Wird das nicht berücksichtigt, kann der Feind handeln.

Wir gestalten die Organisationsstruktur neu, damit die Einheiten effektiver werden

Wie die Nationalgarde den Bereich Drohnen stärkt? Wie werden Fachleute ausgebildet?

Unter Berücksichtigung der Kriegserfahrung, der Realität auf dem Gefechtsfeld sowie der Technologieentwicklung gestalten wir die Organisationstruktur neu und passen sie an die Bedingungen an, in denen wir uns befinden, damit unsere Einheiten effektiv und das Personal geschützt sein werden.

Momentan haben wird drei separate Drohneneinheiten. Eine Einheit wurde 2022, zwei weitere „Kryla Omega“ und „Taifun“ wurden in diesem Jahr aufgestellt und die ihre Kapazitäten, darunter personelle, aufbauen. Das sind vor alle junge Leute, Männer und Frauen, die gut im Gaming und in den Computertechnologien sind, die verstehen, wie eine Drohne gesteuert werden muss. Wir haben auch ein Zentrum zur Beurteilung der Effektivität des Einsatzes und Steuerung der unbemannten Luftfahrzeuge. Seine Mitarbeiter analysieren den Einsatz und die Effektivität dieser Einheiten.

Können Sie sagen, wie lange die Ausbildung eines guten Drohnenpiloten dauern kann?

Insgesamt kann die Ausbildung bis zu vier Wochen dauern. Und dann erwirbt jemand spezifische Fähigkeiten, abhängig vom Drohnentyp und wendet sie in der Praxis an. Es gibt Menschen, die schon mit guten Fähigkeiten kommen. Dann ist die Ausbildung kürzer.

Ich weiß, dass wir die Drohnen für den Kampfeinsatz verbessern. Ob es die Fälle gibt, dass die Russen unsere Technologie klauten und dann einsetzten?

Bei den Drohnen mit einem großen Einsatzspektrum, die in allen Einheiten gibt, kann der Gegner nur Besonderheiten ihres Einsatzes nur kopieren und analysieren, die besser als ihre sind. Klar dabei ist, dass der Feind für die Drohnen, die nicht öffentlich zugänglich sind und sozusagen unsere Entwicklungen sind, mehr Interesse hat.

Wieviel Drohnen sind für den Sieg erforderlich?

Es gibt noch keine Einschätzungen dafür, deswegen kann ich das nicht sagen. Und dann, ob sie unsere Probleme lösen werden, wenn es sie in großer Zahl gibt? Klar, nein. Der Krieg ist eine komplexe Aufgabe für unsere Streitkräfte, für unseren Staat. Die Drohnen sind eine wichtige ergänzende Komponente. Sie werden aber auch zusammen mit allen Kräfte und Mitteln eingesetzt.

Switlana Tkatschuk, Kyjiw

Foto: Pawlo Bahmut

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