Der Energiesektor muss sich auf den Krieg umstellen: Warum die Energiesicherheit der Ukraine von der Entwicklung der erneuerbaren Energien abhängt
Der ukrainische Energiesektor wurde zu einem der Hauptziele russischer Angriffe und erlitt erhebliche Schäden. Am stärksten betroffen waren große Wärmekraftwerke, Heizkraftwerke und Transformatoren des Übertragungsnetzes. Angesichts des ständigen Beschusses kann die Widerstandsfähigkeit des Stromsystems durch die Verfügbarkeit einer autonomen und dezentralen Reserveenergieversorgung, auch aus erneuerbaren Quellen, gestärkt werden. Das heißt, wir brauchen Sonnen-, Wind-, Wasser-, Biomasse- und Biogasenergie.
Was die erneuerbaren Energien betrifft, so muss die Stromversorgung von Verbrauchern, Unternehmen und insbesondere kritischen Infrastruktureinrichtungen durch kleine Energiequellen sichergestellt werden. Der Bau einer großen Zahl kleiner Erzeugungs- und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ist die Grundlage für die Dezentralisierung des Energiesystems.
Gleichzeitig prägt der Krieg die Reformagenda und signalisiert die Notwendigkeit, den Energiesektor auf die sogenannte Kriegsbasis zu stellen: ihn durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien neu zu profilieren.
Der Reformprozess ist bereits in vollem Gange
In diesem Jahr verabschiedete die Werchowna Rada der Ukraine das Gesetz Nr. 3220-IX über den Wiederaufbau und die grüne Transformation des ukrainischen Energiesystems.
Mit diesem Gesetz wird erstens ein System zur Ausstellung von Herkunftsnachweisen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen eingeführt. Das bedeutet, dass die Erzeuger den Status des grünen Stroms bestätigen können.
Was ist der Zweck dieser Bestätigung? Verbraucher, einschließlich der europäischen Verbraucher, können sich vergewissern, dass der von ihnen gekaufte und verbrauchte Strom keine zusätzlichen Kohlendioxidemissionen verursacht und dass sie ihren Verpflichtungen zur Reduzierung dieser Emissionen nachkommen.
Bis September 2024 muss die nationale Regulierungsbehörde (NEURC) die Einrichtung eines Registers für die Ausstellung, Verwendung und Beendigung des Herkunftsnachweises für Strom sicherstellen. Damit wird der Mechanismus umgesetzt. Der nächste Schritt wird die Integration des ukrainischen Registers in das regionale Register der Energiegemeinschaft sein.
Die Schaffung eines Mechanismus für den Herkunftsnachweis für Strom ist auch unsere Verpflichtung zur europäischen Integration und wird zusätzliche Anreize für Investitionen in den Bau neuer Anlagen für erneuerbare Energiequellen und die Nutzung von Exportmöglichkeiten in die EU schaffen.
Zweitens wird der Marktprämienmechanismus eingeführt. Dabei handelt es sich um einen neuen Mechanismus für die Ukraine, um die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu fördern. Auktionen zur Zuteilung von Förderquoten werden eingeführt. Die Erzeuger, die bei der Auktion den Förderanspruch erhalten haben, bekommen eine Marktprämie, die sich aus der Differenz zwischen dem „grünen“ Tarif oder dem Auktionspreis und dem geschätzten Strompreis ergibt.
Drittens. In der Ukraine gibt es ein staatliches Unternehmen, den sogenannten garantierten Käufer (Guaranteed Buyer), das unter anderem Strom von den Erzeugern erneuerbarer Energien kauft. Mit anderen Worten: Ein Erzeuger hat einmal Strom verkauft und war verpflichtet, seine Produkte kontinuierlich an den garantierten Käufer zu verkaufen. Das Gesetz ermöglicht es dem Erzeuger, den Bilanzkreis des garantierten Käufers zu verlassen und einen alternativen Weg zu wählen, um seinen Strom auf dem Markt zu verkaufen, wodurch der Wettbewerb verstärkt wird, anstatt die Abnahme der gesamten Strommenge zu einem fixierten Preis zu garantieren. Gleichzeitig bleibt im Falle einer erneuten Vereinbarung der An- und Verkauf von Ökostrom zu einem „grünen“ Tarif erhalten.
Viertens können Erzeuger erneuerbarer Energien und garantierter Käufer Strom unter Marktbedingungen exportieren.
Fünftens wird mit dem Gesetz ein Mechanismus zur Messung der Nettostrommenge für Haushalte eingeführt, das sogenannte Net Billing. Dieses System ermöglicht es den Verbrauchern, aktiv am Energiemarkt teilzunehmen: Sie können überschüssigen Strom in das Netz einspeisen und zahlen nur für die Differenz zwischen verbrauchter und eingespeister Energie. Dieser Ansatz trägt auch zur effizienten Nutzung von Strom bei.
Die Liste der im Gesetz vorgeschlagenen Innovationen und Lösungen ist nicht erschöpfend. Damit alles funktioniert, müssen jedoch innerhalb von sechs Monaten nach der Verabschiedung des Gesetzes sekundäre Rechtsvorschriften ausgearbeitet und das derzeitige Gesetz geändert werden.
Wie ist der aktuelle Stand der Sekundärgesetzgebung?
Das ukrainische Energieministerium hat kürzlich den Text eines Entschließungsentwurfs des Ministerkabinetts der Ukraine über die Einführung von Herkunftsnachweisen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen veröffentlicht. Dieser Beschluss wird voraussichtlich bis Ende 2023 verabschiedet werden. Das Konzept des staatlichen Wirtschaftsprogramms zur Förderung der Entwicklung der dezentralen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030 steht ebenfalls zur Diskussion.
Darüber hinaus hat die NEURC die Genehmigungsbedingungen für die Durchführung von Geschäftstätigkeiten für die Verteilung von Elektrizität durch kleine Verteilernetze und die Genehmigungsbedingungen für die Durchführung von Geschäftstätigkeiten für die Aggregation auf dem Strommarkt genehmigt.
Bis Ende 2023 erwarten wir von der NEURC außerdem:
Genehmigung des Verfahrens zur Bildung und Führung eines Registers von Stromanlagen und elektrischen Installationen von Verbrauchern, die alternative Energiequellen zur Stromerzeugung nutzen;
Genehmigung des Verfahrens zur Kosten-Bestimmung und Dienstleistung-Bezahlung auf der Grundlage des Marktprämienmechanismus und des Standardvertragsformulars;
Genehmigung des Verfahrens für den Verkauf und die Messung des von aktiven Verbrauchern erzeugten Stroms und des Standardvertrags für den An- und Verkauf von Strom im Rahmen des Eigenerzeugungsmechanismus (im Zusammenhang mit dem Net-Billing-Mechanismus).
Aber reicht das aus, um alle Neuerungen des Gesetzes umzusetzen? Nein, es reicht nicht aus, aber es sind bereits etwa 80 % des Weges zurückgelegt, sodass wir schon 2024 das Ergebnis der Umsetzung des Gesetzes beurteilen können.
Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien in Verbindung mit der Spitzenlasterzeugung = stabiler Betrieb des Stromnetzes
Es sei daran erinnert, dass etwa 50 % der Erzeugungskapazitäten beschädigt sind, von denen einige nicht wiederhergestellt werden können. Deshalb ist der Bau von Spitzenlastkraftwerken von größter Bedeutung (wir sprechen von Energiespeichern, Wasserkraftwerken, Biomasseheizkraftwerken, sowie Pumpspeicherkraftwerken und hocheffizienten modernen Gasturbinenkraftwerke). Dies wird es unter anderem ermöglichen, zusätzliche Erzeugungskapazitäten zu schaffen, um die zerstörten zu ersetzen und somit eine stabile Stromversorgung der Verbraucher zu gewährleisten.
Der wichtigste Schritt wird sein, Investitionen anzuziehen. Aber wie können wir ein Zeitfenster für die Unternehmen schaffen und genügend Spitzenlastkapazitäten aufbauen? Dazu müssen wir die Preisobergrenzen überarbeiten, langfristige (3–5 Jahre) Auktionen für Hilfsdienste einführen und das Problem der aufgelaufenen Schulden auf dem Regelenergiemarkt lösen.
Solche Entscheidungen werden ein wichtiges Signal für Investitionen sein und weitere Möglichkeiten bieten, die Kapazität der erneuerbaren Energiequellen zu erhöhen und den Energiesektor zu dekarbonisieren. Und der Ausbau der Erzeugung u.a. aus Biogas und Biomasse schafft Märkte für diese Rohstoffe und bietet Landwirten die Möglichkeit, zusätzliches Einkommen zu erzielen.
Die Einführung des marktwirtschaftlichen Konzepts der erneuerbaren Energien ist ebenfalls eine Überlegung wert. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Problematik der „grünen“ Erzeugung, z.B. der Verschuldung auf dem Strommarkt. Die Einführung von Auktionen für die Verteilung von Förderquoten ist ein neuer Mechanismus, der den garantierten Käufer entlastet, aber keine Lösung für das bestehende System darstellt.
Kontext: Um die Steigerung der Produktion aus erneuerbaren Energiequellen zu fördern, wurde ein Mechanismus entwickelt, der den erneuerbaren Energiequellen besondere Verpflichtungen auferlegt. So erhalten beispielsweise die meisten Erzeuger erneuerbarer Energien (mit Ausnahme großer Wasserkraftwerke) Einnahmen aus „grünen“ Tarifen. Sie verkaufen ihren Strom zu einem Einspeisetarif an den oben erwähnten garantierten Käufer, der ihn dann auf dem Großhandelsmarkt weiterverkauft.
Da der Preis auf dem Großhandelsmarkt im Durchschnitt niedriger ist als der Einspeisetarif, entstehen dem garantierten Käufer Verluste. Um diese Verluste zu decken, ist der Energieversorger Ukrenerho verpflichtet, den garantierten Käufer die Differenz über den Übertragungstarif auszugleichen. Der festgesetzte Übertragungstarif deckt jedoch nicht alle Ukrenerho-Kosten, sodass Schulden für die Erfüllung besonderer Verpflichtungen gegenüber dem garantierten Käufer entstehen. Ein weiterer Faktor für die Anhäufung von Schulden ist die Verschlechterung der Zahlungsdisziplin der Marktteilnehmer.
Wir erwarten, dass die Tarife bis Ende 2023 überarbeitet werden. Das Regulierungsverfahren ist derzeit im Gange. Dies wird es uns ermöglichen, die Leistungen zu 100 % zu decken und die Schulden aus früheren Perioden teilweise zu tilgen.
Das Marktkonzept für erneuerbare Energien wird dafür sorgen, dass die rechtlichen, organisatorischen und technischen Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der erneuerbaren Energien auf einer wettbewerbsorientierten Marktbasis geschaffen werden, der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energiebilanz der Ukraine erhöht wird und gleichzeitig die Flexibilität und die ausreichenden Erzeugungskapazitäten zur Deckung der prognostizierten Stromnachfrage und zur Bereitstellung der erforderlichen Reserve gewährleistet werden.