Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Deutschlands
Die Ukraine kann ein Wirtschaftsmotor und starker Handelspartner für Deutschland werden
18.12.2024 18:34

Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Mitgliedern der deutschen Regierung, die die Ukraine nach Beginn der groß angelegten russischen Invasion am häufigsten besuchten: Sie besuchte Kyjiw dreimal (am 27. Mai 2022, am 9. Mai und am 12. Dezember 2024) sowie Odessa (am 19. Januar 2023).

Und jedes Mal kam Frau Schulze nicht mit leeren Händen. So war es auch letzte Woche, als die Ministerin ein beeindruckendes Unterstützungspaket mitbrachte, das vielen Ukrainern mit weniger Problemen helfen wird, den dritten Kriegswinter zu überstehen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben kürzlich Kyjiw besucht. Dies ist nicht Ihre erste Reise nach 24.02.22. Können Sie Ihre Gefühle damals und heute vergleichen? Sind Ihnen Unterschiede aufgefallen?

Ich bin sogar schon das vierte Mal seit dem vollumfänglichen Angriff Russlands auf die Ukraine im Land gewesen. Denn die Unterstützung der Ukraine ist ein wichtiger Pfeiler meines Ministeriums.

Bei meinen Gesprächen habe ich gespürt, wie dieser Krieg an den Menschen nagt und wie sehr er sie auf Dauer belastet. Es war jetzt schon ziemlich kalt und niemand kann bei den Temperaturen in einer ungeheizten Wohnung ohne Strom ausharren. Deshalb ist es so wichtig, die Situation zu verbessern. Ich habe vor Ort gesehen: Deutschlands Hilfe kommt an und sie wird dringend gebraucht. Das ist jetzt überlebenswichtig für die Menschen. Das hat mich sehr ermutigt.

Am nächsten Tag nach Ihrem Besuch führte Russland einen großen Luftangriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur durch. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon gehört haben?

Ich hatte ein Umspannwerk besucht und der Krieg fühlte sich sehr nahe an. Genau solche Punkte im Land waren kurze Zeit später Ziel des Großangriffs. Ich hatte mit Mitarbeitern von Ukrenergo gesprochen, die die Umspannwerke reparieren, und auch mit einer Feuerwehrfrau, die bei Bränden zu den Einsatzorten fährt. Wie viel Mut und Willen sie haben, immer wieder aufzubauen! Und wie viel Angst ihre Familien haben müssen. Das berührt mich zutiefst.

Hinter den gezielten Angriffen auf die Energie- und Wärmeversorgung steckt die perfide Absicht Russlands, die Bevölkerung im Dunkeln frieren zu lassen und sie so zu zermürben und zu vertreiben. Damit darf Russland keinen Erfolg haben!

Während des Besuchs wurde bekannt gegeben, dass die Bundesregierung zusätzliche Mittel für die Anschaffung mobiler Wärmeversorgungssysteme für Gemeinden bereitstellen wird. Von ungefähr welcher Menge ist die Rede?

Ich bin nach Kyjiw gereist, um unser Winterpaket in Höhe von 90 Millionen Euro zu übergeben. Das sind ganz konkrete Maßnahmen: 80 mobile Blockheizkraftwerke, über 20 mobile Heizkesselhäuser, Transformatoren und Hybridgeneratoren sowie Hubbühnen zur Reparatur von zentralen Stromleitungen. Mit dieser Ausstattung erhalten rund 2,6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer Wärme und Strom in diesem dritten Kriegswinter. Die Blockheizkraftwerke sind so groß wie ein Container und können recht schnell und flexibel dorthin gebracht werden, wo Energie und Wärme am dringendsten gebraucht wird.

Bitte erinnern Sie uns daran, wie viel Geld und Mittel Deutschland insgesamt für die ukrainische Energiewirtschaft bereitgestellt hat (seit 24.02.22), wie viel davon ist das von Ihrem Haus?

Insgesamt hat die Bundesregierung über 37 Milliarden Euro für die militärische und zivile Unterstützung der Ukraine bereitgestellt. Deutschland ist damit der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine weltweit und der größte in Europa. Mein Entwicklungsministerium hat dazu mit Initiativen im Umfang von insgesamt 1,7 Milliarden Euro beigetragen. Mit den Mitteln haben Binnenvertriebene ein Dach über dem Kopf bekommen und Verletzte Prothesen erhalten. Die Mittel helfen zudem, dass es weiter Strom und Wärme gibt, die Unternehmen in der Ukraine weiter produzieren können und Fachkräfte ausgebildet werden.

Deutschland wird in wenigen Monaten eine neue Regierung haben. Müssen die Ukrainer befürchten, dass die Hilfe für die Ukraine reduziert wird?

Es ist breiter Konsens aller Parteien der Mitte in Deutschland, die Ukraine zu unterstützen. Denn die Ukraine verteidigt nicht nur ihr Land, sondern auch die Sicherheit in Europa. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die große Unterstützung Deutschlands für die Ukraine weitergehen wird.

Vor einem halben Jahr hat die Bundesregierung in Berlin eine große Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine ausgerichtet. Wie geht es da voran?

Auf der Ukraine Wiederaufbaukonferenz haben wir wichtige Initiativen gestartet. Der Mittelstand ist auch in der Ukraine das Rückgrat der Wirtschaft – und genau wie in Deutschland – fehlen dafür Fachkräfte. Wir unterstützen die Ukraine dabei, Fachkräfte auszubilden – zum Beispiel Elektrikerinnen und Ingenieure, Ärztinnen und Psychologen. Dafür sind Ausbildungen und Umschulungen nötig. Wir konzentrieren uns dabei verstärkt auf die Frauen. Sie sind im Moment diejenigen, die den Alltag mit ihren Familien, in den Betrieben, in den Krankenhäusern am Laufen halten. Darüber habe ich mich in Kyjiw mit der ukrainischen Wirtschaftsministerin Yulia Svyrydenko ausgetauscht.

Sie nahmen auch am deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum am 11. Dezember in Berlin teil. Was nehmen Sie von dem Forum mit?

Die Ukraine hat wirtschaftlich großes Potenzial. Gleichzeitig hat die deutsche Wirtschaft großes Interesse. Deutschland exportiert neben Verteidigungsgütern vor allem Maschinen, Chemieprodukte und Autos in die Ukraine. Etwa 2.000 deutsche Unternehmen sind in der Ukraine aktiv, auch im Bereich der erneuerbaren Energien. Das Entwicklungsministerium unterstützt Unternehmen bei ihren Investitionen – etwa durch Kredite. Als wirtschaftlich stabiles Land und zukünftiges EU-Mitglied kann die Ukraine ein Wirtschaftsmotor und starker Handelspartner für Deutschland werden.

Olha Tanasijtschuk, Berlin

Foto: Ukrinform

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