Alexander Hug
Mission arbeitet der Einstellung der Gewalt willen, Abzug von Panzern ist aber nicht unsere Aufgabe
03.07.2018 12:55

Der erfahrene Diplomat und Friedensstifter Alexander Hug ist sicherlich in die Geschichte der Ukraine eingegangen. Mindestens wenn es sich um die Periode der durch Russlands entfesselte Aggression nach dem Jahr 2014 handelt.

Der ehemalige schweizerische Armeeangehörige schließt manche eventuellen Ansprüche an die Tätigkeit der Mission aus, wenn man an ihre Adresse hören kann, dass die Beobachter wohl zu vorsichtig und zu komfortable ihre Aufgaben erfüllen und sich in die am meisten gespannten Konfliktsituationen beziehungsweise in die Kampfhandlungen nicht einmischen.

Über diese und einige andere Missverständnisse im Rahmen des Mandats der Mission, über vorhandene Spekulationen und Differenzen bei der Umsetzung der Programme "Monitoring" und "Kontrolle" in der Praxis hat der Erste Vizechef der OSZE-Mission in einem Exklusiv-Interview dem eigenen Ukrinform-Korrespondenten in Brüssel erzählt.     

BEHAUPTUNGEN ÜBER BETRÄCHTLICHE ZAHL DER RUSSEN IN DER MISSION SIND SPEKULARIV

Herr Hug, verfügt die Mission ausreichend über die Möglichkeiten, um die im Mandat festgelegten Aufgaben erfüllen zu können?

Die spezielle Beobachtermission wurde auf Einladung der Regierung der Ukraine 2014 entsendet - aufgrund eines Konsensbeschlusses, der bei der Sitzung des Ständigen Rats der OSZE gefasst worden war. Ich möchte betonen, dass es noch vor der Eskalation des bewaffneten Konfliktes geschah. Wir sind in allen Regionen der Ukraine präsent, aber natürlich wird die Hauptaufmerksamkeit im Osten des Staates konzentriert. Außerhalb der Regionen Donezk und Luhansk haben wir acht Vertretungen, insbesondere in Kiew, Chersson, Odessa, Dnipro, Charkiw, Iwano-Frankiwsk, Lwiw und Tscherniwzi.  

Allerdings sind unsere wichtigsten Ressourcen in Donezk und Luhansk einschließlich 16 ständiger Vertretungen beiderseits der Entflechtungslinie konzentriert.

Diese Teams verwirklichen Überwachung und Streife tagsüber sowie in der Nacht statisch in den 15 Beobachterposten. Wir haben außerdem 13 Überwachungskameras die Entflechtungslinie entlang, die rund um die Uhr im Betrieb sind.  

Sämtliche Informationen darunter die Angaben, die anhand der technischen Mittel erhalten werden, werden nach Kiew übergeben.  

Zurzeit zählt die Mission 700 Beobachter im ganzen Land, plus ungefähr 400 Mitarbeiter, die Bürger der Ukraine sind. Insgesamt arbeiten 1214 Mann momentan in der speziellen Beobachtermission.

Ich möchte auch einige Spekulationen bezüglich der Herkunftsländer der Mitarbeiter der Mission erläutern.  

Früher wurde doch keine objektive Information über die überwiegende Zahl der Beobachter aus Russland verbreitet. Zurzeit gib es diese 37. Das größte Kontingent wird durch die Vereinten Staaten vertreten - 60. Im Großen und Ganzen wird die spezielle Beobachtermission zu 50 Prozent durch die EU-Mitgliedstaaten vertreten. Alle Angaben sind für breite Öffentlichkeit auf unserer Webseite zugänglich.  

SICHERHEITSSITUATION IM DONBASS: AN DER OSTGRONT OHNE ÄNDERUNGEN

Wie schätzen Sie die Sicherheitssituation in der Ostukraine ein?

Wenn man mit den vorigen Jahren vergleicht, so hat sich die Sicherheitssituation im Verantwortungsbereich der Mission hauptsächlich nicht geändert. Im Zeitraum der Neujahrsfeste und Winterferien, als die Vereinbarungen über Waffenruhe eingehalten wurden, war es etwas ruhig gewesen.

Zugleich ist Gewaltniveau im März gestiegen. Dann erneut - im Zeitraum der Osterfeiertage galten die Vereinbarungen über die Waffenruhe, die sowieso gebrochen wurden, allerdings war die Zahl der Verletzungen des Waffenstillstandes niedrig. Ende April und bis Mitte Mai haben wir die meiste Zahl der Verletzungen in diesem Jahr festgestellt. Insbesondere war der 16. Mai der komplizierteste Tag, als mindestens 2380 Brüche der Waffenruhe dokumentiert waren.

Derzeit wissen wir über die angekündigte Treue für Einhaltung der so genannten "Brot-Waffenruhe", die wir begrüßen. Das ist besonders wichtig für Ukrainer, die in der Nähe der Kontaktlinie  auf  deren beiden Seiten leben und von Gewalt am meisten betroffen werden.

Aber auch diese Waffenruhe wird zeitweilig und begrenzt sein, da sie die Grundursachen dieser Gewalt nicht beseitigt, die im Militär-technischen Bereich liegen. Die Rede ist von der Stationierung g der Einheiten der Streitkräfte und dem Vorhanden schwerer Ausrüstung insbesondere Panzer, Mörser und Artillerie. Bis diese Ursachen beseitigt werden, wie es in Abkommen von Minsk vorgesehen ist, wird die Gewalt fortgesetzt und die Situation wird weiter unvorhersehbar und instabil sein.   

2017 WAREN ÜBER 400.000 BRÜCHE DER WAFFENRUHE FESTGESTELLT

Es ist kein Geheimnis, dass es in der ukrainischen Gesellschaft unter Militärs, Politikern, Experten, Journalisten öfters Forderungen und sogar Vorwürfe betreffs mangelhafter Effizienz und Tätigkeit der Mission gibt...  

Ja, wir wissen das. Aber am meisten ist das, warum es so passiert, auf falsche Auffassungen dessen, womit sich die spezielle Beobachtermission beschäftigt, zurückzuführen. Die Mission ist beauftragt worden, Überwachung zu verwirklichen und über ihre Beobachtungen zu berichten sowie zu einem Dialog der Seiten am Ort beizutragen, was seinerseits zur Senkung der am meisten aktuellen Besorgnisse im humanitären Bereich beiträgt. In erster Linie handelt es sich um Überwachung und Berichterstattung, über die Einhaltung des Waffenstillstandes, den Abzug von Waffen, Entminung. Daran liegt unsere Rolle.

Die Situation, dass Kampfhandlungen andauern, ist mit unserer Tätigkeit nicht verbunden, da die Ursache dafür die Nichterfüllung der Abkommen von Minsk nämlich von den Seiten ist. Wir machen unseren Job offen und das kann man in unseren täglichen Berichten auf unserer Webseite auf Ukrainisch, Englisch und Russisch sehen. Aber beispielsweise den Abzug von Panzern aus Donezk, Awdiijwka dorthin, wo sie sich befinden sollen, ist nicht unsere Aufgabe. Das ist die Verantwortung der Seiten.

Im Vorjahr haben wir insgesamt über 4.000 Einheiten schwerer Ausrüstung beiderseits der Kontaktlinie in Orten, wo es sie nicht geben soll, festgestellt. Auch 2017 wurden mehr als 401.000 Mal Brüche der Waffenruhe d.h. über ein Tausend pro Tag dokumentiert. Trotz unserer ausführlichen Berichte haben die Seiten fast nichts in Bezug auf Ergreifung von Maßnahmen der Einwirkung auf die von der Mission festgestellte Gewalt getan.  

Es ist schwierig, unseren Effektivitätsgrad einzuschätzen. Das kann in der Situation "gemessen" werden, wenn der Konflikt eingestellt wird. Die Mission trägt zur Gewährleistung der Stabilität und des Friedens bei. Aber um das einschätzen zu können, muss man das Gewaltniveau bzw. dessen Nichtvorhandensein bestimmen. Geben Sie zu, diese Kategorie ist schwer zu "ermessen".  

Wir geben uns Mühe, um zur Regelung des Konfliktes beizutragen, indem wir objektive und geprüfte Informationen zur Verfügung stellen, die ermöglicht, den verantwortlichen Personen einen Beschluss zu fassen und denjenigen, die Macht haben und tatsächlich Kontrolle ausüben, Verletzter der Vereinbarungen zur Verantwortung heranzuziehen. Ja, wir können nicht alles in Sicht bekommen. Allerdings sind die Tatsachen, die in unsere Berichte eingetragen werden, unbedingt geprüft. Und diese Informationen ermöglichen uns, zur Verbesserung der humanitären Situation in der Verantwortungszone beizutragen. Wir finden insbesondere die Menschen auf, die Hilfe brauchen, beispielsweise Häuserinstandsetzung, Renovierung der Wasserleitungen, der Telefonverbindung... Wir selber reparieren nicht, wir holen Lebensmittel nicht, aber wir helfen bei der Sicherstellung des Zuganges für zuständige Strukturen und Organisationen, diese Hilfe zu leisten und wir gewähren diesbezügliche Informationen durch unsere Streifwache beiderseits der Kontaktlinie.

MITARBEITER DER MISSION WERDEN AUF NICHT KONTROLLIERBAREN TERRITORIEN STÄNDIG BEDROHT

Stoßen die Mitarbeiter der Mission auf Bedrohungen an ihre Adresse, an Hindernisse bei der Bewegung während der Kontrollstreife und bei Erfüllung ihrer Pflichten?

Informierung über die Fälle der Hindernisse bei der Bewegung der Beobachter ist im Mandat der Mission festgelegt. Wir machen das täglich in unseren täglichen Berichten. Gründe dieser Beschränkungen sind verschieden. Das können so genannte passive Beschränkungen sein, worauf wir regelmäßig stoßen, insbesondere Minenfelder. Aber wir stoßen auch auf aktive Hindernisse, die es fast immer in den der Regierung nicht kontrollierten Gebieten gibt.

Haben die Beobachter der Mission den Zugang zu der ukrainisch-russischen Grenze, die von Russland kontrolliert wird?

Die Patrouillen dürfen den Abschnitt der ukrainischen Grenze zu der Russischen Föderation, aber mit bestimmten Beschränkungen besuchen. Auf ihrem Weg zum unkontrollierbaren Abschnitt der Grenze zu der Russischen Föderation sollen sie zahlreiche Blockposten passieren und bis zu ihrer Ankunft an die Grenze sind den ausgerüsteten Personen an der Grenze bereits über ihre Streife bekannt. Bis jetzt haben die bewaffneten Formationen  uns keine Unterstützung geleistet, die für die Eröffnung von Ständigen Vertretungen unweit des unkontrollierbaren Abschnitts  der Grenze zu der Russischen Föderation notwendig ist.

Ja, wir beobachten dort Bewegung von Autos und Menschen. Allerdings wird alles, was wir dort sehen können, sehr stark kontrolliert. Das kann man nicht eine unabhängige Überwachung nennen, wenn bewaffnete Personen von uns verlangen, sich in einer bestimmten Entfernung von Kontrollposten an der Grenze zu befinden.

Ich möchte folgendes erläutern. Von unseren Mandaten werden keine Vollmächte für Kontrolle der Fahrzeuge vorgesehen, die die Grenze passieren. Haben die Beobachter beispielsweise ein Auto mit dem geschlossenen Gepäckraum festgestellt, verfügen wir über keine Mittel, diesen zu öffnen. Wir können nur verzeichnen, dass wir einen Lastkraftwagen mit dem geschlossenen Gepäckraum festgestellt hatten. Natürlich können diese LKWs alles Beliebige befördern, aber wir wissen nicht, was drin ist.  

Ja, im öffentlichen Raum gibt es viele Mitteilungen, dass diese Lastkraftwagen Militärausrüstung befördern können, und viele Fragen, warum wir darüber nicht mitteilen. Aber wir haben kein vollziehendes Mandat für solche Inspektionen. Es gibt auch Widersprüche bei der Übersetzung vom Englischen und bezüglich der Auffassung der Begriffe "Überwachung" und "Kontrolle" in den ukrainischen und russischen Sprachen. Also, "Überwachung" wird oft als "Kontrolle" übersetzt. Aber das ist ein Fehler, der zur Entstellung der Wahrnehmung führt.

Wir tragen auch keine Informationen in die Berichte ein, die sozusagen auf dem Niveau der Gerüchte erhalten wurden. Jemand hätte angeblich gesehen, wie ein Panzer die Grenze überquerte, und teilte den Beobachtern mit. Aber wir müssen das selbst entweder deutlich sehen oder die Tatsache mittels der fernbetätigen Beobachtung feststellen.

EINSTELLUNG DER GEWALT IM DONBASS WIRD NACH ERFÜLLUNG VON "MINSK" UNUMKEHRBAR SEIN

In der vorigen Woche haben Sie im EU-Parlament an dem Hearing über die Frage der Friedensmission im Donbass teilgenommen? Sie haben große Erfahrungen bezüglich der Friedenstiftung. Wie ist ihre Vision betreffs dieser Operation, deren Mandat und der Möglichkeiten der Entsendung?

Vor allem was ist die Friedensstiftung? Es ist ein Komplex der Maßnahmen für die Aufrechterhaltung des Friedens. Und diese Maßnahmen waren in Bezug auf die Ostukraine gemäß den Abkommen von Minsk bereits getroffen. Sie sehen den Abzug schwerer Waffen, der Truppen, die Entminung und anderes vor. Und wenn die Seiten diese Forderungen erfüllen werden, so soll das Regime der Feuereinstellung irreversibel sein. Also, werden die Ausrüstung und die Truppen abgezogen, so können diese Maßnahmen für Versorgung des standfesten Friedensprozesses zusätzlich ergänzt werden, damit Waffen nicht zurückgebracht werden und die Situation für immer stabil sein wird.

Darüber hinaus sind die Diskussionen bezüglich einer eventuellen Friedensoperation wichtig, das bestätigt doch wieder einmal, dass das Problem existiert, dass die Situation äußerst aktuell ist und aus  Mitteilungen in den Massenmedien nicht verloren geht.

Russland sowie manche europäischen Politiker fordern die Ukraine auf, den politischen Teil von "Minsk" zu erfüllen. Kiew beharrt auf vorrangige Erfüllung der Sicherheitsmaßnahmen insbesondere deren, die Sie bei der Antwort auf die vorangehende Frage erwähnt haben...

Ich möchte nicht spekulieren, warum Minsker Vereinbarungen nicht erfüllt werden. Aber ich betone, dass Donbass den ständigen Frieden braucht. Und es bedeutet Stabilität und Irreversibilität der Feuereinstellung. Das kann man durch die Implementierung der grundlegenden Militär-technischen Maßnahmen gewährleisten:  schwere Ausrüstung abzuziehen, Truppen und Mittel zu enflechten und Entminung durchzuführen. Dafür sollen entsprechende Befehle erteilt werden, deren Ausführung vom politischen Willen aller Seiten verstärkt sein soll.

Sonst werden die Menschen weiter sterben und Verletzungen erleiden und die Infrastruktur wird vernichtet.

Und bezüglich der Kommunalwahlen in dieser Situation im Donbass, ist das gemäß den OSZE-Standards möglich?

Natürlich ist die OSZE bereits, dafür Hilfe zu leisten, auf ihre Erfahrungen gestützt zu haben. Aber wenn genau die Wahlen durchgeführt werden können, möchte ich damit nicht spekulieren.

Derzeit wird im Osten der Ukraine keine Antiterroroperation (ATO) sondern die Operation der Vereinten Kräfte (OVK) durchgeführt. Wie schätzen Sie diese Handlungen der Ukraine für die Deokkupierung des Donbass ein?

Wir bleiben im engen Kontakt mit dem Kommando der Operation der Vereinten Kräfte einschließlich Generalleutnant Serhij Najew. In dieser Etappe ist es noch früh, die Einflüsse dieser Veränderungen auf die Situation vor Ort objektiv zu bewerten. Aber es ist wichtig, dass General Najew als der Befehlshaber der OVK die Priorität des Schutzes der Menschen beiderseits der Kontaktlinie betont. Die Beobachtermission wird weiter dokumentieren, ob die Worte mit praktischen Handlungen übereinstimmen.

Andrij Lawrenjuk, Brüssel.

nj

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