Freiwillige Helfer aus der Schweiz: Die Ukraine hat genug Kleidung und Lebensmittel, jetzt braucht sie Drohnen
Wir trafen uns mit Kseniia und Thorsten in der Hauptstadt der Oblast Transkarpatien Uschhorod. Das Ehepaar folgte dem Spendenaufruf von Ukrinform und brachte drei Quadrocopter MAVIC-3 für die 72. Brigade „Schwarze Saporoger Kosaken“ in die Ukraine. Die Soldaten erhielten bereits die Drohnen per „Nova Poshta“ und setzten sie an der östlichen Front ein.
Ukrinform wollte von ihnen wissen, wie ist es, sich in der Schweiz für die Ukraine engagieren. Ob es derzeit leicht ist, die Spenden zu sammeln, wofür die Schweizer, die für ihre neutrale Position bezüglich des russisch-ukrainischen Krieges bekannt ist, spenden. Und auch – welche Schwierigkeiten kleine Freiwilligenorganisationen beim Transport von Hilfsgütern in die Ukraine an der Grenze haben und wie diese Situation geändert werden kann.
WEIHNACHTSGESCHENK
Ukrinform schrieb vor dem Neuen Jahr über eine schöne Weihnachtsgeschichte mit unserer Spendenaktion für die 72. Brigade der ukrainischen Armee. Anfang Dezember startete die Nachrichtenagentur die Aktion mit dem Ziel, drei Drohnen vom Typ MAVIC-3 für die 72. mechanisierte Brigade „Schwarze Saporoger Kosaken“ zu kaufen. Kseniia und Thorsten Priewe von der UkraineHilfe machten bei der Spendenaktion mit.
- Wir haben über die Spendenaktion auf der Webseite der Nachrichtenagentur gelesen. Gerade zu diesem Zeitpunkt meldete sich ein Mann persönlich bei uns, der zum Weihnachtsfest eine beträchtliche Summe, mehr als 10.000 Euro, nicht für seine Familie ausgeben, sondern für die Hilfe der Ukraine spenden wollte. Im vergangenen Jahr tätigte er auch eine Spende, von der kauften wir Generatoren, die man nach russischen Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur brauchte. In diesem Jahr floss ein Teil der Mittel auch in die Generatoren, vom Restgeld kauften wir Drohnen und brachten sie in die Ukraine. Wir verstehen, dass der Krieg in den Krieg der Drohnen verwandelte und diese werden vom Militär dringend benötigt. Thermounterwäsche, Kleidung oder Lebensmittel hat die Ukraine schon genug, bei den Drohnen muss man aber helfen, sagt Kseniia Priewe.
IN ERSTEN TAGEN HABE ICH GEWEINT UND DANN HABE ICH MICH AN NACHBARN UM HILFE GEWANDT
Laut Kseniia gründete sie zusammen mit ihrem Mann Ende Februar 2022 den Verein „Ukrainehilfe“ - nur wenige Tage nach Beginn des umfassenden russischen Krieges gegen die Ukraine.
Nach Beginn der russischen Invasion weinte ich nur ein paar Tage. Und dann erkannte ich, dass ich entweder etwas tun und helfen oder einfach nur verrückt werden werde. Dann ging ich zu unseren Nachbarn, klingelte an der Tür und fragte: Was könnten Sie der Ukraine als eine Spende geben? Wir haben nun in wenigen Tagen unsere erste Charge humanitärer Hilfe gesammelt und an die Grenze der Ukraine zur Slowakei gebracht.
Damals war es einfach, Spenden zu sammeln.
Es gab eine andere Einstellung zum Krieg, eine andere Sensibilität - buchstäblich unmittelbar nach der Gründung von „ Ukrainehilfe“ begannen Menschen Gelder auf ein Wohltätigkeitskonto zu überweisen. Wir waren eine der ersten, wenn nicht sogar die ersten in der Schweiz, der der Ukraine geholfen hat. Unsere Transporte brachten Kleidung und Hygieneartikel für Flüchtlinge. Es war notwendig für Menschen, die flohen und alles verloren haben, die an einem neuen Ort zu leben begannen. Im Herbst 2022 ging es um Generatoren. Wir erhielten Gelder für diese Geräte. Wir kauften Generatoren, sowohl kleine als auch große, industrielle, und brachten sie in die Ukraine. Sie wurden dann an die Front, Kindereinrichtungen, Krankenhäuser gebracht.
ENTWICKLUNG VON WINDELN BIS ZU DROHNEN
Bisher war Kseniia mit ihrem Mann sehr vorsichtig bei Spendensammlungen und der Entsendung von Hilfsgütern gerade an die Front.
- Die Schweiz ist eine neutrale Nation, deswegen war ich sehr vorsichtig mit Hilfen für das Militär. Hygieneartikel, Kleidung gibt es in der Ukraine ausreichend. Es fehlen Geräte an der Formt. Wir haben uns also entwickelt, von sozusagen Windeln bis zu Drohnen, erzählt sie.
Ich frage die Helfer, ob man in der Schweiz bereit ist, den Militärangehörigen zu helfen.
- Die meisten sind nicht bereit. Es gibt aber Einzelpersonen, die gerade ihnen helfen wollen. Wir hatten mit dieser Geschichte über MAVIC-Drohnen für die 72. Brigade Glück, als unser Mäzen selbst sagte: „Das ist für Drohnen.“ Was aber andere Spenden betrifft, nicht nur für unseren Verein, sondern auch für andere Hilfsorganisationen in der Schweiz, handelt es sich immer um Krankenhäuser, Kinder und Geflüchtete und keinesfalls um militärische Dinge.
Ich frage Kseniia, wer kleine oder große Summen für ihren Verein spendet.
- Die meisten Spenden sind kleine Beiträge von 20 bis 100 Euro. Manchmal beträgt die Spendenhöhe bis ein- oder zweitausend, aber nicht oft. Allerdings ist es bei uns üblich, alle unsere Spender, unabhängig von der Spendenhöhe, auf unserer Website aufzuführen. Die Beiträge werden nicht genannt.
Unter den Spendern von „Ukrainehilfe“ sind nach Worten von Kseniia Priewe Rentner, junge Leute, Klein- und Großunternehmen. Das sind sehr unterschiedliche Menschen, betont sie.
FREIWILLIGENARBEIT GIBT DAS GEFÜHL, DASS DU NICHT UMSONST LEBST
Ich will von Kseniias Ehemann Thorsten Priewe wissen, was ihn motiviert, der Ukraine und ihrer Armee zu helfen.
- Das erste, was mich motiviert, ist meine Frau. Bis zum Beginn des Krieges waren wir mit Kseniia mehrmals in der Ukraine. In Kyjiw, in ihrer Heimatstadt Krywyj Rih und sogar in Henitschesk, das derzeit besetzt ist. Darum war es ein logischer Schritt, Freiwilligenarbeit zu leisten, uns nicht einfach in unserer Wohnung in Zürich zu sitzen und zu beobachten, was passieren wird. Als der umfassende Krieg im Februar 2022 begann, hatten wir Angst und waren frustriert… Das Beste dabei ist es, etwas zu tun, sonst fühlt man sich machtlos. Und Kseniia stand eines Tages einfach auf und ging zu den Nachbarn. In ein paar Tagen hatten wir bereits einen Bus voller Sachen und machten uns auf den Weg.
Thorsten engagiert sich gemeinsam mit seiner Ehefrau als freiwilliger Helfer. Er sagt allerdings, sie hätten sowas zuvor nie gemacht. Ich frage ihn, ob das ihm gefällt.
Es ist schwierig in dem Sinne, dass wir nicht eine große Organisation sind, sondern einfach die Familie Priewe. Wir sind zu zweit, wir sind arbeitstätig. Aber andererseits gibt es das Gefühl, dass du nicht umsonst lebst, dass du in dieser schwierigen Situation etwas Nützliches tun kannst und nicht einfach zu sitzen und auf ein Ende des Krieges zu warten. Wir werden erfahrener, bauen Kontakte aus. Unsere Freunde und Bekannte helfen uns schon, nicht einfach Geld zu sammeln oder es uns zu übergeben. Sie fragen: „Was genau braucht ihr?“ So erschienen also auch diese drei Drohnen.
ICH BIN IN WESTBERLIN AUFGEWACHSEN UND WEIẞ, WAS RUSSISCHE NACHBARSCHAFT BEDEUTET
Der Transport von Hilfsgütern an die Grenze oder über die Grenze nimmt nach Worten von Thorsten Priewe die meiste Zeit in Anspruch.
Wir haben Glück mit unseren Arbeitgebern. Sie tolerieren unser Engagement und geben uns bei Bedarf einen Tag frei, sagt er.
Thorsten Priewe betont, dass es für ihn sehr wichtig ist, sich an der Hilfe für Ukrainer gerade jetzt zu beteiligen.
Ich bin im Westberlin aufgewachsen und mein ganzes Leben hatte Russen vor meinem Haus, deswegen weiß ich, was das bedeutet. Klar, ich würde kaum als Freiwilliger tätigen, wenn ich keine ukrainische Frau hätte. Vielleicht würde ich spenden, wie alle anderen. Mir ist aber bewusst, dass es sich um den russischen Krieg gegen den Rest der westlichen Welt handelt. Ich bin ein Europäer, in Deutschland aufgewachsen. wohne in der Schweiz und weiß, was Europa bedeutet. Das ist Reisefreiheit, Freiheit, Werte. Ich verteidige das jetzt auf meine Art und Weise, durch freiwilliges Engagement für die Ukraine. Ich bin kein Soldat und kann das an der Front nicht verteidigen. Aber ich tue auf diese Weise mein Bestes, sagt Thorsten Priewe.
WENIGER BÜROKRATIE UND MEHR ENGLISCH NÖTIG
Kseniia macht deutlich, dass die meisten Probleme für ihre Organisation nicht die Anhäufung von Mitteln für Hilfe oder Lieferung an die Ukraine seien, sondern die Bürokratie an der Grenze.
Es wäre gut, wenn alle Volontäre das Notwendige einfach kaufen, an die Grenze liefern und in die Ukraine schicken könnten. Stattdessen müssen wir nach Dokumenten suchen. Nun halfen uns Ukrinform-Journalisten mit Drohnen, und wir brachten sie schließlich für „Schwarze Saporoger Kosaken“.
Unserer Meinung nach wäre es aber generell sehr gut, wenn es ein Handbuch auf der Website des Staatsministeriums zur Koordinierung von Freiwilligenlieferungen für ausländische Volontäre gäbe. So etwas wie eine Roadmap - wo man anfängt, woran man sich wendet, ob man militärische Hilfe oder zivile bringt. Wenn militärische, dann muss man das, das und das tun. Auch eine Kontaktliste muss es geben, wo man diese Dokumente erhalten kann.
Kseniia Priewe zufolge brauchen ausländische Volontäre Hilfe, vereinfachte Informationen und... englischsprachige Zollbeamte.
Die Ukraine hat den Kurs auf Digitalisierung eingeschlagen, deshalb möchte ich, dass es weniger Deklarationen und andere Papiere gibt, die an der Grenze ausgefüllt werden müssen. Eine andere Sache ist Englisch. Ich verstehe, dass Zollbeamte an der slowakischen Grenze Ukrainisch und vielleicht Slowakisch sprechen - aber sie sprechen kein Englisch! Hätte mein Mann diese Hilfe ohne mich gebracht, würde er acht Stunden, nicht drei an der Grenze bleiben, weil er sich einfach mit den ukrainischen Zollbeamten nicht verstehen würde.
So, betonen Schweizer Volontäre aus „Ukrainehilfe“, hoffen sie wirklich darauf, weniger Bürokratie und mehr Englisch an unserer Grenze zu sehen, wenn sie weitere Hilfen für die Ukraine bringen.
Tetjana Kohutytsch, Ushgorod
Fotos der Autorin