Alexander Schallenberg, Außenminister von Österreich
Zurufe an die Ukraine, Teile ihres Territoriums für Frieden aufzugeben, sind widersinnig
31.07.2024 16:03

Für den österreichischen Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Alexander Schallenberg, ist die großangelegte Invasion Russlands in die Ukraine mit dem 9/11 vergleichbar – jeder erinnert sich daran, wo er am 24. Februar 2022 war, ebenso wie bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA. Seiner Meinung nach war dies ein Dammbruch, der Auswirkungen auf den gesamten Kontinent hatte und auch in Österreich ein Umdenken bewirkte, wo das größte Verteidigungsbudget der letzten 40 Jahre beschlossen und die Sicherheitsstrategie neu geschrieben wurde.

Wie Russland im zentralen nationalen sicherheitspolitischen Grundlagendokument des Landes bezeichnet wird, ob man früher und entschlossener auf die russische Aggression gegen die Ukraine hätte reagieren müssen, wie der Bundesminister zur Tätigkeit der Raiffeisen Bank International in Russland und zur Abhängigkeit von russischem Gas steht, sowie seine Meinung zur 'Friedensmission' Orbáns und wer über den Frieden in der Ukraine entscheiden wird, erfahren Sie im Interview mit Alexander Schallenberg für Ukrinform.

Herr Bundesminister, die groß angelegte Invasion Russlands in die Ukraine und die anschließende Unterstützung des ukrainischen Volkes durch Österreich stehen seit zweieinhalb Jahren im Mittelpunkt der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Können Sie sich an den 24. Februar 2022 erinnern und wie Sie die ersten Berichte über den großen Krieg aufgenommen haben? Haben Sie geglaubt, was geschah?

Mir geht es da wie bei 9/11. Jeder erinnert sich, wo er war, als damals die zwei Flugzeuge in das World Trade Center gekracht sind. Und genauso ist der 24. Februar 2022.

Ich werde nie vergessen, als ich irgendwann zwischen 4 und 5 Uhr Früh den ersten Anruf bekommen habe, dann sofort zum Fernseher gestürzt bin und dort zwischen BBC, CNN und so weiter hin und her gezappt habe, währenddessen habe ich mit dem Bundeskanzler telefoniert. Dann hat sich die Bundesregierung zum Krisenstab getroffen.

Das ist ein Ereignis, das man natürlich nicht vergisst. Das war ein Dammbruch. Da ist etwas geschehen, was unser aller Leben, unseren Kontinent verändern wird. Es geschieht selten, dass man im Moment schon versteht: Das ist ein historischer Augenblick.

Haben wir es erwartet? Nein. Kurz davor war ich bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Obwohl viele davon gesprochen haben, dass ein Angriff bevorstand, haben wir uns doch auf rationales Verhalten Putins verlassen.

Das war vielleicht der größte Schock damals: Wir haben alle gedacht, Wladimir Putin, das russische Regime, wird nicht etwas völlig Irrationales machen, etwas, das Russland selbst derartigen Schaden zufügt. Doch sie haben es gemacht. Und das ist eine wichtige Lehre auch für künftige Krisensituationen: Man kann sich nie darauf verlassen, dass das Gegenüber rational handelt. Unser intellektueller Fehler war wohl, dass wir oft nicht richtig hingehört haben, obwohl die Zeichen sehr deutlich waren.

Vielleicht hätte man damals härter reagieren müssen, und das hätte möglicherweise die umfassende Invasion im Jahr 2022 verhindert?

Die ersten Reden von Putin, schon in München 2007 und 2008, haben seine imperialistischen Gedanken offengelegt. Da hätten wir viel früher deutlich reagieren und rote Linien aufzeigen müssen.

Das mag müßig sein, aber hält doch eine wichtige Lehre bereit: Wir haben in Europa zu lange geglaubt, dass Krieg bei uns nicht mehr stattfinden wird, dass wir das überwunden haben und keiner so verrückt und irrational sein würde. Wir wissen doch, was im Ersten und Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Dieser Glaube an die Rationalität war letztlich ein Fehler.

Und doch ist es der Schock des 24. Februar 2022, dass der Krieg auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt ist.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat in vielen europäischen Ländern zu einer Neubewertung ihrer sicherheitspolitischen Ausrichtungen geführt. Wie beeinflusst der anhaltende Krieg die Debatte über Österreichs Neutralität in der Politik und Öffentlichkeit?

Jeder Staat hat seine eigene Geographie und seine eigene Geschichte.

Die Geschichte der Neutralität in Österreich ist anders als in Finnland und Schweden. Sie genießt weiterhin enorme Unterstützung in der österreichischen Bevölkerung. Die Neutralität hindert uns aber nicht, auch in diesem Konflikt eine klare politische Linie zu vertreten. Denn die österreichische Neutralität war immer eine militärische, aber nie eine Werteneutralität oder Gesinnungsneutralität.

Neutralität ist aber nicht gleichbedeutend mit Sicherheit. Das ist ein Irrglaube, dem leider viele aufsitzen. Neutralität bedeutet, dass wir uns keiner militärischen Allianz anschließen und keine fremden Stützpunkte auf österreichischem Boden haben. Für unsere Sicherheit müssen wir trotzdem selbst sorgen.

Dass nach dem 24. Februar ein völliges Umdenken stattgefunden hat, sieht man sehr deutlich in Zahlen. Die österreichische Bundesregierung hat die größte Steigerung des Verteidigungsbudgets der letzten 40 Jahre beschlossen. Am Ende wird das Budget bis zu 1,5 Prozent des BIP erreichen. Das ist eine unglaubliche Kehrtwende. Und das in Koalition mit einem Partner, mit dem das nicht einfach ist – der Grünen Partei –

Und wir haben auch eine neue Sicherheitsstrategie entwickelt. Diese ist zwar noch nicht beschlossen, da es eine kleine Meinungsverschiedenheit mit dem Koalitionspartner gibt. Der wesentliche Teil, der das Außenministerium und das Landesverteidigungsministerium betrifft, ist fertig. Kein Staat kann mehr glauben, dass er sicherheitspolitisch außen vor ist, sozusagen an der Seitenlinie steht und nicht betroffen ist.

Sie haben die Sicherheitsstrategie erwähnt, die noch nicht verabschiedet worden ist. Wird das neue Dokument von der heutigen Bundesregierung noch vor den Parlamentswahlen im Herbst angenommen werden?

Ich bedauere sehr, dass es wegen Details noch zu keiner Einigung mit dem Klimaministerium gekommen ist.

Ich würde sehr hoffen, dass wir das so schnell wie möglich abschließen können. Aber es gibt offenbar aufgrund innenpolitischer Gründe beim Koalitionspartner nur eine sehr begrenzte Bereitschaft, in gewissen Formulierungen Kompromisse einzugehen.

Und können Sie schon heute sagen, wie Russland in dieser neuen Sicherheitsstrategie benannt ist? In der alten und in der noch gültigen ist es ein „wesentlicher Partner.“

Das ist natürlich absolut nicht mehr der Fall. Und die Linie, die Österreich hier einschlägt, ist völlig identisch mit der Linie, die auch die Europäische Union in diesem Zusammenhang fährt. Wir sehen Russland als die größte sicherheitspolitische Herausforderung für den europäischen Kontinent. Dabei geht es auch um den Bereich hybrider Angriffe, Desinformation, Fake News und so weiter. Da sind die Formulierungen sehr klar.

Und für uns als neutraler Staat ist auch sehr klar: Unsere sicherheitspolitische Verankerung jenseits der Neutralität ist die solidarische Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union. Das beweisen wir auch schon seit über zwei Jahren. Der Umstand, dass wir militärisch neutral sind und es auch bleiben, hat uns nie daran gehindert, die Ukraine humanitär zu unterstützen. Wir haben uns bei jenen Beschlüssen, die den militärischen Bereich in der Europäischen Union betrafen und die finanzielle Unterstützung davon, immer konstruktiv enthalten. Aber niemals die anderen daran gehindert, voranzugehen. Wir nützen die Flexibilität, die die EU bietet. Und Österreich hat sich hier auch innerhalb der Europäischen Union von Anfang an solidarisch erwiesen.

Medienberichten zufolge ist der Grund dieser Auseinandersetzung zwischen den Koalitionspartnern die Frage die Unabhängigkeit von russischem Gas. Die Formulierung der Grünen, eine Abhängigkeit von russischem Pipeline-Gas stelle daher ein Sicherheitsrisiko für Österreich dar, wird von der Volkspartei nicht unterstützt. Aber warum ist Ihre Partei dagegen?

Nein, so ist es nicht. Es gibt das ganz klare Ziel der Regierung, dass wir bis 2027 unabhängig vom russischen Gas sein wollen.

Ich weiß, dass man in den Medien immer gerne Monate herausgreift, in denen der Gasimportgrad wieder sehr hoch ist. Im Durchschnitt haben wir ihn von 80 auf 60 Prozent verringert.

Der interne Gasverbrauch hat sich in Österreich ebenfalls verringert. Wir haben strategische Gasspeicher eingerichtet. Und Gas trägt nur 14 Prozent zum österreichischen Energiemix bei.

Das Problem, das ich eher sehe mit dem Koalitionspartner: Er hat Gas per se nicht gerne. Dennoch werden wir Gas weiterhin in der Energiegewinnung und Industrie benötigen. Dies stellt einen kleinen, aber auch wesentlichen politischen Unterschied dar. Wenn man einen Koalitionspartner hat, der tatsächlich alles nur mit Windkraftanlagen und Solarpanels machen möchte, funktioniert das derzeit einfach nicht. Das bedeutet, dass Österreich auch in Zukunft Gas beziehen muss.

Das heißt, die Diversifizierung ist im vollen Gang. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung.

Nichtsdestotrotz ist der Anteil des Russischen Gases noch sehr hoch. Im Mai importierte Österreich 90% des Erdgases aus Russland. Österreich ist jedoch ein wohlhabendes Land und könnte, wie auch andere Staaten, ohne russisches Gas auskommen und somit diese Milliarden Euro nicht an das russische Kriegsbudget senden.

Ich plädiere immer dafür, dass wir nicht einzelne Monate herausgreifen. Wir hatten einen durchschnittlichen Anteil von 80% des Gases, jetzt sind wir bei 60%, die Zahlen müssen sich weiter verringern.

Es ist zu einfach zu sagen, wir sind reich, wir können es uns woanders kaufen. Letztlich zahlen das der Konsument und der Unternehmer. Das muss man immer auch in diesem Zusammenhang sehen, insbesondere im Rahmen der Inflationsbekämpfung.

Auch die Ukraine hat bis in den Krieg hinein russisches Gas durch ihr Land transportiert und dafür Transitgebühren bezogen. Das Bild ist also nicht schwarz-weiß.

Zu diesem Transitvertrag. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko hatte zuvor angekündigt, dass die Ukraine nicht plane, den Vertrag mit Gazprom über den Gastransit nach 2024 zu verlängern. Wie plant Österreich, auf diese Situation zu reagieren? Gibt es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, Druck auf die ukrainische Regierung auszuüben?

Nein. Es gibt hier sehr gute Gespräche mit unseren ukrainischen Freunden. Sowohl die OMV als auch die Energieministerin sagen, dass in Österreich nicht die Lichter ausgehen, selbst wenn morgen das russische Gas, das durch die Ukraine fließt, gekappt wird. Es gibt genügend Gasspeicher und ausreichend andere Kapazitäten.

Und noch eine Frage zu diesem Thema. Sie haben auch selbst früher gesagt, dass Wladimir Putin der erste Kremlchef ist, der Gas als Waffe einsetzt. Warum hat die österreichische Regierung bisher keine rechtlichen Schritte gegen Russland eingeleitet, um auf diesen Missbrauch zu reagieren?

Er hat nicht nur Gas, sondern auch Nahrung und Information als Waffe eingesetzt. Seit 1968 bestehen diese Verträge zwischen der OMV und Gazprom. Es gab den Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs, das Gas wurde geliefert, die OMV hat gezahlt. Die Sowjetunion ist gefallen, und das Gas ist weiter geflossen. Weder Andropow, Tschernenko noch andere haben getan, was Putin getan hat.

Fragen zu Vertragsbruch oder Vertragserfüllung sind letztlich mit der OMV zu klären.

Ein weiteres Thema, das bei den Ukrainern für Unverständnis sorgt, ist die Tätigkeit der österreichischen Raiffeisen Bank International in Russland. Wie reagiert die österreichische Regierung auf die Kritik, dass diese Geschäftsbeziehungen indirekt zur Stabilisierung der russischen Wirtschaft und Finanzierung der russischen Kriegsanstrengungen beitragen?

Schon die Formulierung der Frage halte ich für voreingenommen. Über 90% aller westlichen Unternehmen, die vor dem 24.2. in Russland präsent waren, sind weiterhin dort. Ich denke nur an JP Morgan, Unicredit oder andere. Der Rückzug aus Russland ist eine Entscheidung jedes Privatunternehmens. Er bedarf der Genehmigung durch Russland und letztlich würden viele Ausstiege dazu führen, dass wir Russland enorme Mengen an Assets quasi schenken.

Ich finde es also erstaunlich, dass man ein Unternehmen herauspickt. Das wird der Komplexität des Themas nicht gerecht.

Herr Bundesminister, ich möchte erläutern, warum über Raiffeisen so viel gesprochen wird. Raiffeisen ist die einzige ausländische Bank auf der Liste der 13 systemrelevanten Kreditinstitute in Russland. Etwa 50 Prozent der internationalen Transaktionen mit Russland laufen über die RBI…

Raiffeisen ist auch eine der sechs größten Banken in der Ukraine und gerade im Agrarsektor die Nummer eins. Es ist immer noch dasselbe Unternehmen.

Aber nicht wie die anderen Banken. Raiffeisen zahlt in Russland mehr Steuern als alle anderen westlichen Banken zusammen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der RBI so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird

Ja, das mag sein. Aber ich finde es trotzdem erstaunlich, dass sehr viele andere Industrieunternehmen und auch Agrarunternehmen noch in Russland tätig sind. Die Sanktionen müssen auf Punkt und Beistrich eingehalten werden. Von Seiten der österreichischen Bundesregierung gäbe es überhaupt kein Verständnis, wenn dies anders wäre.

Die RBI hat wiederholt gesagt, dass sie am Rückzug arbeiten, das verstehe ich auch. Ich sehe aber auch die Schwierigkeiten, die mit diesem Rückzug verbunden sind.

Ich möchte auch eine Frage zur russischen Spionage in Österreich stellen. Wie The Wall Street Journal unter Berufung auf westliche Geheimdienste berichtet, ist die österreichische Hauptstadt zum „neuen Zentrum der russischen Spionage in Europa“ geworden und hat Dutzende von russischen Spionen beherbergt, die aus anderen europäischen Ländern ausgewiesen wurden. Und Wien ist jetzt eine Basis für russische verdeckte Operationen in ganz Europa. Sehen Sie dieses Problem der wachsenden russischen Spionage überhaupt?

Die Behauptung, dass wir von anderen Ländern ausgewiesene russische Diplomaten beherbergen, ist falsch.

Die europäischen Staaten teilen die Listen der Ausgewiesenen miteinander. Ich bin der erste österreichische Außenminister in der Zweiten Republik, der mittlerweile 11 russische Diplomaten des Landes verwiesen hat.

Punkt zwei: Das ist vielleicht die Schattenseite des Umstandes, dass Wien die Stadt mit einer großen Dichte an internationalen Organisationen ist. Wir sind der einzige UNO-Hauptsitz innerhalb der Europäischen Union. Wir haben die IAEO und die OSZE.

Wir haben eine sehr klare Positionierung und Haltung, was Spionagetätigkeit in Österreich betrifft. Und wenn jemand Handlungen setzt, die im Widerspruch zur Wiener Diplomatenrechtskonvention stehen, werde ich nie zögern, entsprechende Schritte zu setzen. Das habe ich schon vor dem Russischen Angriffskrieg bewiesen. Die erste Ausweisung eines russischen Diplomaten aus Österreich war im Jahr 2020.

Ich sage aber auch: diese Politik Österreichs bezieht sich nicht nur auf Russland. Meine Grundlage als Außenminister ist das Völkerrecht und die nationale Rechtsordnung. Das bedeutet, wir werden auch weiterhin entsprechend vorgehen. Ich schließe nicht aus, dass noch ganz andere Staaten hinzukommen könnten.

Zu Bilateralen Beziehungen. Die Ukraine und Österreich haben im September 2022 ein Rahmenabkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich vereinbart, das den Bau und die Ausstattung von drei medizinischen Einrichtungen vorsieht, darunter die Kinderklinik in Kyjiw, die vor drei Wochen von einer russischen Rakete gerade getroffen wurde. Doch zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens hat seine Umsetzung noch nicht begonnen. Was ist der Grund für diese lange Verzögerung? Beabsichtigt die österreichische Seite nun, ihre Bemühungen zu verstärken, insbesondere um den Wiederaufbau der zerstörten Klinik in Okhmatdyt?

Die Bombardierung eines Kinderspitals stellt eindeutig einen neuen Tiefpunkt in dieser Auseinandersetzung dar und ist auf das Allerschärfste zu verurteilen.

Das Engagement Österreichs im Bereich der wirtschaftlichen und humanitären Unterstützung der Ukraine sowie beim künftigen Wiederaufbau steht nicht zur Debatte. Österreich wird sich auch weiterhin in der Ukraine engagieren.

Mit dem nahenden Winter stehen die Ukraine und ihre Bevölkerung vor erheblichen Herausforderungen aufgrund der Zerstörung der Energieinfrastruktur durch russische Angriffe. Plant Österreich ihre Unterstützung für die Ukraine angesichts der bevorstehenden schweren Wintermonate zu erweitern oder anzupassen?

Der dritte Kriegswinter steht vor der Tür. Wir werden deutliche Unterstützung leisten, und zwar durch den Ukraine Energy Support Fund. 15 Millionen Euro werden von Österreich diesem Fonds zur Verfügung gestellt.

In den letzten Kriegswintern sind wir der Ukraine bereits mit Generatoren und anderen Hilfsmitteln zur Seite gestanden. Das werden wir selbstverständlich auch jetzt fortsetzen.

Es ist leider zu befürchten, dass die russische Föderation wie in den letzten zwei Jahren auch vor den Wintermonaten ganz gezielt, massiv die zivile Energieinfrastruktur in der Ukraine angreifen wird. Das ukrainische Volk kann sich jedoch auf die Solidarität und Unterstützung Österreichs verlassen.

Österreich unterstützt die Ukraine sehr stark in humanitärer und finanzieller Hinsicht. Aber könnte Österreich mehr tun, ohne seine Neutralität zu gefährden, z.B. durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten oder die Bereitstellung von Ausrüstung zur Minenräumung?

Es stimmt, dass wir aus neutralitätsrechtlichen Gründen unsere Unterstützung auf den humanitären Bereich und den makrofinanziellen Bereich konzentrieren. Im Bereich der Entminung haben wir über 7 Millionen Euro bereitgestellt, die über Organisationen wie das Welternährungsprogramm, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die OSZE verteilt wurden. Dieses Engagement setzen wir fort.

Was die Ausbildung betrifft, so machen wir eine klare Trennung zwischen Kriegsgerät, letaler Ausrüstung und humanitärer Unterstützung. Diese Trennung ist unserer Bundesverfassung geschuldet.

Auch meine ukrainischen Freunde wissen das und werfen uns das nicht vor. Sie erkennen an, dass wir im Rahmen unserer Verfassung tun, was möglich ist.

Ich weiß, dass es Bestrebungen gibt, ukrainische Soldaten auszubilden. Einige Staaten machen das bereits bilateral auf ihrem Staatsgebiet, und es gibt auch Überlegungen, diese Ausbildung möglicherweise in der Ukraine selbst durchzuführen. Das ist eine Entscheidung, die diese Staaten treffen müssen.

Ich habe Bedenken hinsichtlich der Entsendung direkt in die Ukraine. Was ist, wenn diese Menschen bei einem Angriff zu Schaden kommen oder gar getötet werden? Wäre das dann ein Angriff auf einen westeuropäischen oder NATO-Staat? Deshalb werden wir diesen Weg nicht beschreiten. Stattdessen werden wir weiterhin unsere Unterstützung auf den Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe für die Ukraine konzentrieren.

Das Ende des Krieges, und das haben Sie schon oft gesagt, liegt in den Händen einer Person – Wladimir Putin. Wenn er morgen beschließt, die Invasion zu stoppen, wird der Krieg zu Ende sein. Was kann Putin dazu zwingen, diese Entscheidung zu treffen?

Das ist eine gute Frage, die uns sehr beschäftigt. Das war auch großes Thema beim Besuch des indischen Premierministers Modi in Österreich. Wir müssen jedenfalls, und das war auch Konsens bei der Friedenskonferenz in der Schweiz, die Staaten des globalen Südens, insbesondere die BRICS-Staaten, stärker einbeziehen. Einerseits ist das notwendig für Sicherheitsgarantien, andererseits haben diese Staaten potenziell mehr Einfluss in Moskau. Gleichzeitig wissen wir alle nicht, was die Gedankenwelt von Wladimir Putin tatsächlich beeinflusst. Selbst chinesische Partner, die ja ein Ende des Krieges wünschen, haben anscheinend alleine nur begrenzten Einfluss.

Und doch darf die Diplomatie nie aufgeben. Der Krieg schadet Russland massiv, es ist isoliert und geostrategisch viel schwächer als zu Beginn des Angriffskriegs. Putin wird daraus die nötigen Schlüsse ziehen müssen.

Noch aber sehe ich keine Bereitschaft von russischer Seite, ernsthaft an Gesprächen teilzunehmen. Sobald eine ernsthafte Bereitschaft von russischer Seite besteht, sollten wir dieses Angebot aufgreifen. Das ist wichtig.

Während alledem gilt: Keine Verhandlungen über die Ukraine, ohne die Ukraine. Das ukrainische Volk muss letztendlich entscheiden, wann es bereit ist, zu verhandeln.

Und am Ende des Tages wird es Gespräche mit Russland geben. Denn wir alle wollen Frieden. Aber es kann keinen Diktatfrieden geben. Es kann keinen Frieden geben, den Russland aufoktroyiert oder den irgendjemand anderer über die Köpfe der Ukraine hinweg durchsetzt. Das darf nicht passieren.

Einige westliche Politiker fordern, dass die Ukraine Teile ihres Territoriums als auch einen Teil ihrer Souveränität aufgeben sollte, um Frieden zu erzielen. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Ich halte solche Zurufe für völlig überflüssig. Man stelle sich vor, wir wären angegriffen: Die Südsteiermark oder das Burgenland wären von einer fremden Macht besetzt. Man hätte versucht, die österreichische Bundesregierung auszuschalten oder aus dem Land zu vertreiben. Und dann würde uns jemand sagen: „Liebe Österreicher, verzichtet doch auf einen Teil des Gebiets, um des Friedens willens.“ Ich halte solche Zurufe von außen für unzulässig.

Es ist letztlich Sache des ukrainischen Volkes. Sie sind angegriffen und zeigen eine unglaubliche Bereitschaft, sich zur Wehr zu setzen. Ironischerweise könnte man sagen, dass Putin mit seinem Angriff mehr zur Geschlossenheit der ukrainischen Gesellschaft beigetragen hat als jeder andere zuvor.

Daher sind solche Zurufe von außen völlig widersinnig. Es ist letztlich das ukrainische Volk, das hier die letzte Entscheidung haben muss.

Ich möchte Sie noch zur sogenannten Friedensmission des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán fragen, sowie zu den Aussagen Ihres Kollegen Peter Szijjártó, wonach die EU den Krieg in der Ukraine befördere.

Zum Zweiten: Ich halte das für völlig an den Haaren herbeigezogen. Wir haben das schon im Europawahlkampf gesehen, als die FPÖ die EU als Kriegstreiberin dargestellt hat und behauptet wurde, sie habe den Krieg verlängert. Ich halte das für eine unglaublich gefährliche Übernahme des russischen Narrativs. Politiker, die so argumentieren, verstehen nicht, dass sie sich damit vor den Karren Putins spannen lassen und von ihm missbraucht werden. Ich halte diese Argumentationslinie für völlig irrsinnig.

Zum Ersten: Es ist ganz klar, dass Viktor Orban ohne das Mandat der Europäischen Union unterwegs war. Er hat weder für uns noch für die EU gesprochen, sondern nur für sich selbst. Er kennt die europäischen Linien. Von einer Ratspräsidentschaft erwarte ich eigentlich, dass sie auch im Außenauftritt darauf achtet, die Einigkeit der Europäischen Union zu wahren.

Wir haben gemeinsam mit ungarischer Stimme 14 Sanktionspakete beschlossen. Manchmal sagen sie etwas anderes für die Galerie zu Hause als in Brüssel. Sollen sie machen.

Plant Österreich ähnliche Friedensmissionen oder direkte Kontakte mit Putin?

Als Bundeskanzler Karl Nehammer nach Moskau reiste, war der große Unterschied, dass wir unsere europäischen Partner vorher informiert haben. Und Nehammer war zuerst in Kyjiw. Er hat mit Selenskyj geredet und hat klar gemacht, wenn ihr das nicht wollt, machen wir es nicht. Der ukrainische Präsident sagte damals: ‚Versuch's.‘

Wir haben das abgesprochen, insbesondere mit den ukrainischen Freunden. Das ist der Riesenunterschied. Und wir haben klargestellt, dass es keine Medienauftritte und keine Fotos geben würde. Es ging nur darum, ob man vernünftig mit dem russischen Präsidenten sprechen kann, um einen Ausweg zu finden. Die Antwort war leider: Nein.

Das ist der wesentliche Unterschied: Unsere Aktion war koordiniert, keine Einzelaktion. Viktor Orbans Vorgehen hingegen war ein Ego-Trip. Es ist jetzt nicht die Zeit für Ego-Trips.

Und was denken Sie über die Auswirkungen der US-Wahlen: Wie könnten sie die Unterstützung für die Ukraine und auch vonseiten der EU beeinflussen?

Das vielleicht Wichtigste ist Nervenstärke zu bewahren und ruhig zu bleiben. Diese konstante Aufgeregtheit über den möglichen Ausgang der US-Wahlen ist völlig übertrieben. Auch die Republikaner wollen keine Welt, in der Putin sich durchsetzt. Auch sie wissen, dass das eine Schwächung der Vereinigten Staaten bedeuten würde, wenn ein Autokrat wie Wladimir Putin einfach das bekommt, was er will. Denken wir nur an die Vorbildwirkung für andere Akteure, insbesondere China.

Es wird vielleicht Unsicherheiten geben, aber ich gehe davon aus, dass es letztendlich eine Kontinuität der US-Politik gegen Russland geben wird, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt.

Zuletzt möchte ich noch über die bevorstehenden Nationalratswahlen im Herbst und die österreichische Unterstützung für die Ukraine fragen. Wird die ÖVP darauf bestehen, dass die Unterstützung für die Ukraine ein zentraler Punkt in den Koalitionsverhandlungen bleibt, selbst wenn eine Koalition mit der FPÖ, die für ihre prorussische Position bekannt ist, in Betracht gezogen wird?

Mit Bundeskanzler Nehammer verfolgen wir eine sehr klare Linie in der Europa- und Außenpolitik. Sei es in den transatlantischen Beziehungen, in der Ukraine oder im Nahen Osten. Selbstverständlich werden wir in einem künftigen Regierungsprogramm, und ich gehe davon aus, dass wir die Wahl gewinnen werden und der Bundeskanzler auch in Zukunft Karl Nehammer heißen wird, diese strategischen Linien, die im Interesse Österreichs liegen, weiterverfolgen.

Ich kann auch begründen, warum: Was in der Ukraine geschieht, ist eine brutale Verletzung aller Prinzipien, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg in der UNO-Charta vereinbart haben. Was einen mittelgroßen Staat wie Österreich schützt, ist das Völkerrecht – ein System, in dem auch große Staaten, auch Atomwaffenstaaten, sich an die Regeln halten müssen. Wenn wir dieses System aufgeben oder sagen, dass wir es nicht mehr weiterverfolgen wollen, dann haben wir keine internationale, regelbasierte Ordnung mehr, dann gilt das Gesetz des Dschungels. Das wäre für uns brandgefährlich.

Ich bin ich sehr zuversichtlich, dass diese klare Linie, egal in welcher Koalition, weiterhin fortgeführt wird, da sie im strategischen Eigeninteresse Österreichs liegt.

Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Vasyl Korotkyi, WIEN.

Vasyl Korotkyi, WIEN.

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