
Der Traum vom Frieden

Am 29. Juni dieses Jahres hat die ukrainische Jugend Rudernationalmannschaft den Hamburger Ruder-Club Favorite Hammonia besucht. Seit März trainieren sie in Hannover und bereiten sich auf die bevorstehende Weltmeisterschaft (25. - 30. Juli 2022) in Varese (Italien) vor. Im Rahmen eines Grillfestes stellte Club Präsident Marc Schreyer die eingeladenen Gäste vor und merkt an „ich hätte niemals geglaubt, dass die Kriegsgeschichten, die meine Großeltern erzählt haben, wieder lebendig werden würden“, sagt Marc Schreyer.

Eine der vielen Fragen der FARI-Ruderer war, auf welchen Flüssen und Gewässern die Kollegen aus der Ukraine früher trainiert hatten. Der 62-jährige Trainer, Mykhailo Getmantsev erzählt, sie haben auf dem Fluss Charkiv begonnen; dem Fluss, der durch die gleichnamige Stadt fließt. Schnell erreichten die Jugendlichen ein hohes Niveau, sodass die Mannschaft schon bald in der gesamten Ukraine trainierte und Wettkämpfe bestritt. In seiner 25-jährigen Karriere hat der Trainer Jugendliche aus den Städten Mykolajiw, Dnipro, Saporischschja, Cherson und Kyiv für die Nationalmannschaft trainiert. Doch das änderte sich am 24. Februar, als Russland die Ukraine angriff. Das ukrainische Sportministerium beauftragte ihn, die Jugendlichen zum Trainieren ins Ausland zu bringen. Er fuhr durch verschiedene Städte, um seine Schützlinge einzusammeln. „Die Sportler saßen in Kellern, die Städte und Dörfer waren unter Beschuss. Ich habe sie glücklicherweise befreien können.“

Anfang März haben alle in der Ukraine Notfallkoffer gepackt. Die Menschen haben die Städte verlassen und flohen in die Dörfer, um den Bombardements zu entgehen. Sie nahmen nur das Nötigste mit. An Sportkleidung war nicht zu denken. 30 der Ruderer und deren Trainer flohen zunächst nach Lwiw, doch war unklar, was das Ziel der Reise sein würde: Italien, Polen… Deutschland?

In Polen angekommen überlegten sie, ob sie nach Hamburg, Düsseldorf oder Hannover gehen könnten. Am Ende fiel die Wahl auf die deutsche Ruder - Club Hannover.

Jetzt erholt sich das Team von den Explosionen, Anschlägen und den Bombardements und gewann die ersten Medaillen bei internationalen Wettkämpfen. Dass die Jugendlichen so trainieren können, liegt auch der Unterstützung des Ruderclubs und der vielen Engagierten.

Die Firma Empacher hat ein neues Boot der olympischen Klasse zur Verfügung gestellt, die Firma Concept2 organisierte neue Ruder.

Der zweite Trainer Vitalij Raevsky kam erst ein paar Wochen später nach Hannover. Sein Weg führte ihn durch die Republik Moldau. Sein „Achter“ und er begannen gleich, hart zu trainieren. Was sich auszahlte: Bei der Internationalen Junioren-Regatta (07–08.) im Mai 2022 in München, gewannen sie Gold und Silber. Bei der Europameisterschaft 2022 in Varesa (Italien) holte sein Team die Silbermedaille in der U19-Klasse.
Vitalii Raevskys Frau und seine Kinder sind mit nach Hannover gekommen. Doch viele Verwandte leben noch in seinem Wohnort Mykolajiw. Sein Neffe und Schwiegersohn kämpfen an der Front. Vitalii Raevski erzählt, wie es ist, in Kriegszeiten in einem fremden Land zu trainieren: „Beim Training arbeite ich genau und konzentriert – wie ich es mein ganzes Leben lang getan habe. Doch jetzt ist mein erster Gedanke nach dem Training: Was passiert gerade zu Hause in der Ukraine? Seinen Sportlern gehe genau wie ihm, auch wenn sie trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen.
Die letzten Nachrichten aus der Heimatstadt Mykolajiw sind schrecklich. Die Stadt wird ständig bombardiert, 10-15 Raketen treffen im Laufe des Tages ihr Ziel. Die Stadt wird dem Erdboden gleich gemacht“. Und trotzdem versuchen die Ruderer ihre Hoffnung aufrechtzuerhalten. Die ukrainischen Nachwuchsruderer haben ihr neues Boot “Mrija” (Traum) getauft. Antonov 225 heißt auch das größte Fracht-Flugzeug der Welt, welches im Krieg in der Ukraine zerstört wurde. Dieses malte vor dem Krieg das 11-jähriges Mädchen Sophia Kravtshuk, das ebenfalls ‘Traum’ benannt wurde, nun wird dieses Bild von der ukrainischen Post als Briefmarke eingesetzt. Der zweite Trainer Vitalii Raevski fühlt sich hier wie zu Besuch und kann sich vorstellen, dass die Gastgeber sie langsam überhaben.

Es gibt nur den einen Wunsch nach Frieden, dass der Krieg schnell vorbei sei, damit alle nach Hause und wie gewohnt trainieren können. Trotz des Krieges, Flucht und der neuen Umstände bleibt das Team vereinigt stark und behält den ‘Traum’ eines Gewinnes für das Heimatland und mit ihm zurück in die Ukraine zu kehren. Und auch Fari-Präsident Marc Schreyer möchte etwas Hoffnung spenden: „Wenn alle Sportler wären, gäbe es keinen Krieg auf der Welt.“
Der Drucktext erschien im Hamburger Favoriten Kurier
Text: Yuliia Marushko